Bei Othüna in Gera soll nun die Butter aufs Brot
Ostthüringer Nahrungsmittelwerk behauptete sich gegen Treuhand und westdeutsche Konkurrenz
Von PETER LIEBERS
Im Ostthüringer Nahrungsmittelwerk Gera GmbH (OTHÜNA) wurde jetzt ein Erweiterungsbau fertiggestellt. Damit stieg die in den vergangenen vier Jahren in das mittelständische Unternehmen investierte Summe auf nahezu neun Millionen Mark. Der einzige verbliebene rein ostdeutsche Margarine-Hersteller mit 70 Beschäftigten hat sich am Markt etabliert, wird von großen Handelsketten gelistet und strebt inzwischen auch nach Marktanteilen in den alten Bundesländern. Dazu wird gerade ein Großversuch mit einer Handelskette vorbereitet.
Der Erfolg von OTHÜNA resultiert nicht zuletzt daraus, daß frühzeitig Becherware und dem Weststandard entsprechende Großgebinde für Bäkkereien angeboten wurden. Der von westdeutschen Branchenvertretern totgesagte DDR-Margarinewürfel hat sich aber auch behauptet. Zwei Drittel der Handelsware wer-
den in dieser Form angeboten, die Tendenz ist steigend.
Daß es das Geraer Unternehmen noch gibt, ist glücklichen Umständen und der Hartnäckigkeit von fünf einstigen Mitarbeitern zu danken. Treuhand und Banken hätten dem Management wenig Vertrauen geschenkt und mit allen Mitteln versucht, den Betrieb an einen West-Unternehmer zu verkaufen, sagte OTHÜNA-Hauptgeschäftsführer Klaus-Peter Nikkei dem ND. Von den „Investoren“ habe aber keiner Interesse an der Produktion gehabt, sie wollten alle nur die attraktive Immobilie im Zentrum Geras haben. Während die Treuhand mauerte und pokerte, hatte die Betriebsleitung längst Kontakte zu einem branchengleichen westdeutschen Familienunternehmen geknüpft, nahm dessen Produkte noch vor der Währungsunion in das eigene Angebot auf und machte damit „beachtliche Umsätze“, wie Nickel versicherte. Im Sog dieser Westprodukte sei auch „manche
Tonne Ost-Margarine mit über die Laderampe gegangen.“
Die Hoffnung erfüllte sich aber nicht, daß der faire West-Partner, der auch mit Maschinen und der Vermittlung von Unternehmensberatern Hilfe gab, das Geraer Unternehmen übernimmt. So machten fünf leitende Mitarbeiter der Treuhand ein Management-buyout-Angebot (MB0), um Produktion und Arbeitsplätze zu retten. Während darüber noch verhandelt wurde, meldeten sich die Nachfahren von Albin Röhler, der 1907 die Margarine und Speisefettfabrik in Gera gegründet hatte, mit Rückgabeforderungen. Diese kaufte das MBO-Team den Erben flugs ab und besaß damit einen Trumpf gegenüber der Treuhand. Schließlich erfolgte im Dezember 1992 die Privatisierung rückwirkend zum 1. Januar 1991.
Die Privatisierung des vormaligen Kombinates Öl und Margarine Magdeburg, von dem sich die Geraer schon frühzeitig abgekoppelt hatten,
gehört übrigens zu den Kuriosa der Treuhand. Sechs vormalige Kombinatsbetriebe verkaufte sie an drei westliche Großunternehmen, diese erhielten ebenso wie der Geraer Betrieb die Markenzeichenrechte und operieren nun alle mit identischen Produktnamen. Auf die DDR-Margarinesorten Sahna, Marina und Sonja wollten auch die Branchenriesen nicht verzichten, sagte Nickel. Versuche der Geraer, neue Produktnamen am Markt zu placieren, gerieten zum Flop.
Nur die Mutation von Sahna zu Sanna brachte Erfolg. So helfen sich die Thüringer denn mit dem Zusatz „Geraer“, um die eigenen Produkte von denen der Konkurrenz sichtbar zu unterscheiden. Trotz aller Widrigkeiten steht bis heute keine rote Zahl in den Büchern. Im vorigen Jahr wurde ein Umsatz von 24 Millionen Mark realisiert. Die Produktion liegt inzwischen um 15 Prozent über der zu DDR-Zeiten, während die Belegschaft um ein Viertel schrumpfte. Die Ent-
lassungen seien schmerzhaft gewesen, räumt Nickel ein. Es sei aber niemandem gekündigt worden, ohne daß er versorgt gewesen sei. Der hohe Altersdurchschnitt der Belegschaft habe die Sache erleichtert.
Das Unternehmen hat inzwischen 50 Produkte für Einzelhandel und Großverbraucher im Angebot. Dazu gehört auch wieder das bei Hausfrauen beliebte Kokosfett, das bereits vom Markt verschwunden war. OTHÜNA bietet das neuentwickelte Produkt mit wachsendem Erfolg an. Auch alte Exportbeziehungen wurden aufrechterhalten. GUS-Staaten, Rumänien, Tschechien und selbst die Mongolei gehören zu den Auslandskunden. Das Geschäft ist allerdings erheblichen Schwankungen unterworfen, weil den Kunden die nötigen Devisen fehlen. Auch der teure Kühltransport setzt Grenzen. Deshalb sind vor allem die Wintermonate exportträchtig, da bleibt die Ware auch auf normalen LKW frisch.
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