„Plötzlich hatte ich einen Schuh in der Hand“
Polizisten, die einen Journalisten zusammengeschlagen haben sollen, stehen in Hamburg vor Gericht Es berichtet VOLKER STAHL
Die Polizei hat in der Hansestadt einen schlechten Ruf. Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren ausländerfeindliche Übergriffe von Beamten. Aber auch Medienvertreter sind unter den Opfern.
Gestern wurde das Strafverfahren gegen die Polizisten Oliver H. und Olaf A. wegen Körperverletzung im Amt, Nötigung und Freiheitsberaubung eröffnet. Sie werden beschuldigt, den Journalisten Oliver Neß während einer Kundgebung des österreichischen Rechtsaußen Jörg Haider schwer mißhandelt zu haben.
„Heute paßt Du auf!“ soll ein Polizist in Zivil den ARD-Reporter Neß am 30. Mai 1994 auf dem Hamburger Gänsemarkt angebrüllt haben. Dazu muß man wissen, daß Neß durch seine kritische Polizeiberichterstattung in Hamburg bekannt ist. Der verbalen Be-
drohung folgten Taten. Zunächst kam es zu Rangeleien zwischen Polizei und Demonstranten. Kurz darauf wurde Neß von einigen Beamten gejagt. Polizeimeister Olaf A. schlug Neß mit seinem Stock in die Nierengegend. Ein Kollege warf den Journalisten zu Boden, eine Faust traf dessen Gesicht.
Und es kam noch schlimmer: Während zwei Polizisten auf dem festgekeilten Neß lagen, wurde der mit einem Schlagstock traktiert. Dann hat der Angeklagte Oliver H. sich den rechten Fuß von Neß gegriffen, den Schuh entfernt und
das Gelenk ruckartig nach links und rechts verdreht. Die Folge: zweifacher Bänderriß. Neß hörte es „richtig knallen“ Zivilfahnder sicherten die Gewalt-Orgie mit Gassprühgeräten ab. Pech für die Täter- Alles passierte vor laufenden Kameras. Die Menschenrechtsorganisation „amnesty international“ verglich die Tat mit Folter.
Vor Gericht sagte Oliver H. aus, daß er sich auf den Videoaufnahmen nicht wiedererkannt habe: „Die Bilder sind zu verschwommen.“ Gleichwohl gab er zu, seinen Kollegen zur Hilfe gekommen zu sein, um eine „Person, die mit den Beinen zappelte“, festzusetzen. Der Bereitschaftspolizist führte weiter aus: „Ziel war es, die Beine ruhig zu stellen. Ich habe versucht, den Beinbeugehebel anzusetzen und
mehrfach zugefaßt. Plötzlich hatte ich einen Schuh in der Hand. Als die Person ruhig war, habe ich mich nicht weiter um den Fall gekümmert und meinen Einsatzzug gesucht.“
Daß vor der Aktion ein Komplott geschmiedet worden sei, um einem kritischen Journalisten „eins auszuwischen“, wies Oliver H. von sich: „Ich kannte vorher weder Neß noch den Mitbeschuldigten Olaf A.“ Er sei vor zwei Jahren als Praktikant bei der Bereitschaftspolizei gewesen und hätte in seiner Ausbildung „Besseres zu tun“
Der Fall Neß beschäftigt auch den Parlamentarischen Untersuchungsausschuß „Hamburger Polizei“. Der war im November 1994 eingerichtet worden, weil in der Zeit von 1988 bis Herbst 1994 mehr als
130 Anzeigen erstattet worden waren. Der Vorwurf war immer derselbe: schwere Körperverletzung im Amt.
Trauriger Höhepunkt war der Fall des von zwei Beamten zusammengeschlagenen Sengalesen Dialle D (46). Die Täter kamen damals mit einem Strafbefehl davon. Ein weiteres Opfer ist die Foto-Journalistin Marily Stroux, die im Zuge eines Hafenstraßeneinsatzes einen Steißbeinbruch erlitten hatte. Der „Polizeiskandal“ forderte aber auch ein politisches Opfer. Innensenator Werner Hackmann (SPD) mußt im September 1994 zurücktreten. Er hatte sich zu lange vor die Polizei gestellt.
Der Neß-Prozeß wird heute vor der Größen Strafkammer 14 fortgesetzt, es folgen weitere neun Verhandlungstage.
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