»Aggression auf Filzlatschen«?
Der Architekt der Bonner Ostpolitik Egon Bahr wird 75 Jahre Von Dr. Detlef Nakath
Er wurde mitTalleyrand und Metternich verglichen und auch an Bismarck gemessen. Der langjährige frühere DDR-Außenminister Otto Winzer bezeichnete seine Strategie und Politik des »Wandels durch Annäherung“ als »Aggression auf Filzlatschen«.
In seinem Arbeitszimmer im Bonner Kanzleramt hing das Lenbach-Gemälde des preußischen Generalstabschefs Helmuth von Moltke, den er als »großen Schweiger« verehrte. Auch Egon Bahr hatte als Politiker zu schweigen gelernt. Er äußerte sich stets mit der gebotenen Distanz und Feinfühligkeit gegenüber seinen Gesprächspartnern und dem »Mut zur Lücke« zu den Medienvertretern über laufende Verhandlungen. Bis heute verachtet er jene nicht eben selten anzutreffende dümmlich-eitle Geschwätzigkeit von Politikern, die mitunter imstande ist, ein vermeintliches Verhandlungsergebnis auf dem offenen Marktplatz zu zerreden, bevor es überhaupt erzielt worden ist.
Sein Weg in die Politik hatte viele Stationen. Er war zunächst auch nicht vorgesehen. Egon Bahr wurde am 18. März 1922 im thüringischen Treffurt geboren. Als er sechs Jahre alt war, zog seine Familie nach Torgau um, in jene sächsische Stadt an der Elbe, die im Frühjahr 1945 durch das erstmalige Zusammentreffen von Soldaten der US-Army und der Roten Armee geschichtliche Bedeutung bekam.
Die historische Elbebrücke zu Torgau, die stummer Zeuge dieser das nahe Ende des Krieges in Europa verkündenden Truppenbegegnung war, ist jüngst abgerissen worden. Auch eine Form der Entsorgung von Zeugnissen ( deutscher Zeitgeschichte, wie sie die in mancher Hinsicht fehlgelaufene Vereinigung mit sich brachte. Egon Bahr hat solche Vorgänge häufig kritisiert. Die inneren Vorgänge bei der Herstellung der deutschen Einheit bezeichnete er in einem ND-Interview am Vorabend des sechsten Jahrestages der deutschen Vereinigung als »Sturzgeburt«, oder noch drastischer an anderer Stelle: »Innenpolitisch haben wir die deutsche Vereinigung vergeigt.«
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