Der unerklärte Krieg

Der Journalist Horst Schäfer sichtete US-Geheimpapiere zu Kuba

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 6 Min.
Horst Schäfer ist ein gestandener Journalist, liebenswürdiger Kollege und auch im 75. Lebensjahr jugendliche Frohnatur. Er hat den Optimismus vieler US-Amerikaner, die so viele Deutsche immer wieder wundert, weil sie so vielen Deutschen abgeht. Der Westfale, der elf Jahre für die DDR-Nachrichtenagentur ADN aus den USA berichtete, ist amerika-geprägt, auch wenn man bei ihm annehmen darf, dass seine Fröhlichkeit in den Genen steckt und keines Extra-Anstoßes bedurfte.
Horst Schäfer hat aufwendig Quellen studiert, clever recherchiert und offenbar intakte Kontakte nutzen können. Er sichtete, übersetzte und bewertete Dokumente der US-Regierung, die Jahrzehnte geheim waren und einen Gegenstand haben: den unerklärten Krieg der amerikanischen Administration, von Wirtschaft und Medien gegen das Kuba Fidel Castros, den sozialistischen Stachel in Sichtweite US-amerikanischen Fleisches.
Die Arbeit ist kein Buch feuilletonistischer Leichtigkeit. Das liegt maßgeblich am Thema. Es ist frei von oberflächlicher Freundlichkeit, sondern reich versehen mit Verschlagenheit, Hass und zu allem bereiter Entschlossenheit. Damit ist die Haltung der USA gegenüber dem Kuba Fidel Castros nur unzulänglich umschrieben. Denn die Sichtung des Arsenals, das Washington gegen die 11-Millionen-Insel in Stellung gebracht hatte und hat, ist ein Blick in Abgründe - und in Widersprüche zwischen Worten über die USA als Leuchtturm der Freiheit einer- und so gepfefferten Taten andererseits, dass das Wort von einem der beteiligten Präsidenten, Lyndon B. Johnson: »Wir haben eine verfluchte Mörder-GmbH in der Karibik betrieben«, dem Tatbestand des Staatsterrorismus entspricht, den sich die Vereinigten Staaten in punkto Kuba erworben haben.
Das Sichten und Wichten der bis vor kurzem vielfach geheimen Regierungsdokumente erforderte vom Autor umfangreiche Recherche. Ihr Ergebnis erlaubt dem Leser eine bisher beispiellose Übersicht der geheimen und gemeinen, diplomatischen und ökonomischen, militärischen und kriminellen Angriffe der USA auf Kuba. Sie begannen nicht erst mit dem Sieg der Castro-Revolutionäre über die Batista-Diktatur im Januar 1959, sondern bereits während des Guerrilla-Kampfes bis zur Vertreibung der Marionette.
Drei wesentliche Gründe sieht Schäfer für Washingtons frühen Unmut über das Ausbrechen Kubas aus der ihm zugedachten Rolle des billigen Zuckerlieferanten und exotischen Vergnügungsgaranten: »1. Die Revolution in Kuba hatte und hat sehr zum Verdruss der Herrschenden in den USA einen großen Einfluss auf die Demokratisierungs- und Befreiungs-Bewegungen in Mittel- und Südamerika. 2. Die US-Regierungen mussten um die von ihnen installierten Diktaturen fürchten und schreckten nicht davor zurück, deren Führer selbst ans Messer zu liefern, um etwas weniger brutale Marionetten an die Macht zu bringen. 3. Es geht den Vereinigten Staaten in ihrem Kampf gegen Kuba nicht, wie behauptet, um Demokratie, sondern Washington hat Angst vor der Wirkung des guten Beispiels auf die Satellitenstaaten der USA, insbesondere in Lateinamerika.«
Der Verfasser zeigt, wie die USA ihren Kampf gegen Kuba auf zwei Ebenen führen: auf der sichtbaren, die mit Gesetzen gerechtfertigt und mit Präsidenten-Verordnungen beschleunigt wird. Dieser Terror hat für Schäfer »viel mit wirtschaftlicher Erpressung zu tun« und bedeutet: »Embargo, Einschränkung und dann völlige Einstellung des Handels, Lieferungsstopp für Lebensmittel, Medikamente und andere Produkte, zunehmender Druck auf Drittstaaten, Reisebeschränkungen, Blockade.«
Vor allem jedoch beleuchtet Schäfer die zweite Ebene, die in den vergangenen viereinhalb Jahrzehnten oft genug freilich im Vordergrund US-amerikanischer Kuba-Politik stand, auch wenn der Vordergrund in den betreffenden Fällen (Schweinebucht 1961, »Operation Mongoose« 1962 und die vielen Versuche zur Ermordung Fidel Castros) Untergrund hieß. »Nur zwei der Staatsmänner«, erinnert er, »auf die sich die Mord-Bemühungen der CIA konzentrierten, überlebten: Fidel und Raul Castro«.
Erhellend, was die Dokumente preisgeben. Dennoch ist das Bild unvollendet. Bislang ist nur ein Bruchteil der CIA-Akten zugänglich, in vielen der freigegebenen Dokumente sind nach wie vor ganze Passagen geschwärzt, und die einsehbaren Unterlagen betreffen nur einen kleinen Teil der zumeist älteren Akten. So kommt es, dass »die ersten Jahre des unerklärten Krieges gegen Kuba besser dokumentiert sind als die letzten«. Schäfers Puzzle-Versuch für die Zeit der Schweinebucht-Landung und die Kriegs- und Umsturz-Pläne unter den Decknamen »Mongoose« bzw. »Northwoods« ergibt so ein besonders vollständiges, eindrucksvolles und bestürzendes Bild. Es ist selbst so aussagekräftig, dass die allgemeine Einleitung »Terrorismus nach Art des Weißen Hauses« (43 Seiten) zu viel entbehrliches Marschgepäck enthält.
Das wiederum gilt nicht für Schäfers Fingerspitzengefühl bei der Betrachtung John F. Kennedys - einem Mann, der sich anfangs im Antikommunismus von keinem übertreffen und nicht von den damaligen Mordplänen gegen Fidel Castro abbringen lassen wollte, hin zu einem Politiker mit Augenmaß zum Zeitpunkt der so genannten Raketenkrise, als Chruschtschow das berechtigte Verteidigungsbedürfnis Kubas mit einem seiner gelegentlichen Ausflüge in politisches Abenteurertum koppelte und atomare Erstschlagwaffen auf Kuba zu verankern versuchte, bis zu seiner Zustimmung zu Gesprächen mit Kuba (Schäfer: »ein Wendepunkt in Kennedys Politik«).
Es gehört zu den Tatsachen, dass der öffentliche Strahlemann Kennedy, der drei Monate vor der Aggression in der Schweinebucht in seiner Amtseinführung Sätze setzte wie: »Den Schwesterrepubliken südlich unserer Grenze geben wir ein besonderes Versprechen: in einer neuen "Allianz für den Fortschritt" unsere guten Worte zu guten Taten werden zu lassen und freien Menschen und freien Regierungen beizustehen, wenn sie das Joch ihrer Armut abschütteln möchten«, dass derselbe Kennedy wenig später Versuche, mit Castro ins Gespräch zu kommen zur gleichen Zeit unternahm, da sein Geheimdienst Giftpfeile für Castros Ermordung auf die Reise schickte. Tatsache ist auch, dass Kennedy nur acht Wochen vor seiner Ermordung vor der UNO Aufsehen erregende Koexistenz-Signale Richtung Moskau und am selben Tag glaubhaft Grünes Licht für Gespräche mit Castro gab. Nicht explizit ausgesprochen, aber ausgesprochen deutlich wird Schäfers Vermutung, dass die Urheber des Kennedy-Mordes in Kreisen zu suchen sein dürften, denen der Gedanke an normalisierte Beziehungen zu Havanna und Moskau am wenigsten passte.
Dass Kuba in den heißen Jahren des Kalten Krieges Zankapfel der beiden Großmächte war, ist ebenfalls unstrittig. Das wird gerade aus dem Blickwinkel deutlich, den der Autor gewählt hat. Horst Schäfer hat ja im engen Sinne kein Kuba-Buch, sondern ein USA-Buch mit Blick auf Kuba geschrieben. Ein Kuba-Buch hätte anders ausfallen und wohl auch der Frage nachgehen müssen, was geschehen wäre und passieren könnte, wenn der zusätzliche Zusammenhalt für Kubas innere Verfasstheit, der sich aus dem erpresserischen Druck der USA-Politik ergibt, wegfiele. Das war nicht Schäfers Thema. Doch zu den Tatsachen gehört, dass die USA bis heute nicht nur der verlässlichste Feind Kubas, sondern - wenn auch ungewollt - Fidel Castros größter Verbündeter sind. Das wirft neben den Fragen, die Horst Schäfer in seinem Buch so intelligent und differenziert beantwortet, manch andere auf, für die zur Stunde kaum Antworten erkennbar sind. Dabei bleiben auch für Kuba die Dinge im Fluss, u.a. weil dort ein Mann führt, der das - ein Demokratie-Problem für sich - seit nunmehr 45 Jahren tut und weil selbst die Strahlkraft Kubas kein gleich bleibend leuchtender Fixstern ist.

Horst Schäfer: Im Fadenkreuz:
KUBA. Kai Homilius Verlag, Berlin 2004. 324S., geb., 18 Euro.
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