»Ausgrenzung ist eine Schande!«

Ruth Weiss zum 101. Geburtstag am 26. Juli

  • Lutz van Dijk
  • Lesedauer: 3 Min.
Sie weiß, was Flucht und Verfolgung bedeuten: Ruth Weiss.
Sie weiß, was Flucht und Verfolgung bedeuten: Ruth Weiss.

Ein Leben lang hat Ruth Weiss nicht nur Unrecht benannt und sich für Benachteiligte und Verfolgte eingesetzt, sondern dies auch ohne Rücksicht auf eigene Gefährdungen getan. Am Samstag, dem 26. Juli, begeht sie ihren 101. Geburtstag bei ihrem Sohn Sascha und einigen Ehrengästen in Dänemark. Gleichzeitig wird in Tübingen eine Ausstellung zu ihren Ehren eröffnet.

Als Kind von gerade zwölf Jahren entkam Ruth mit ihren Eltern 1936 der zunehmenden Judenverfolgung in Nazideutschland und konnte nach Südafrika fliehen. Dort fiel ihr bereits als Jugendliche auf, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe weniger Rechte hatten als jene mit heller Hautfarbe; sie spürte, dass »weiß« und »schwarz« ideologische Begriffe waren, die allein der Macht weniger über viele dienten: Kein Mensch ist weiß oder schwarz.

Als junge Journalistin benannte sie dieses Unrecht beim Namen – und verlor als Konsequenz ab 1966 ihr Aufenthaltsrecht im Apartheid-Südafrika. Die alleinerziehende Mutter eines kleinen Sohnes wurde heimatlos und konnte erst ab 1971 im Nachbarland Sambia und ab 1980 in Simbabwe wieder als Journalistin mit festem Wohnsitz arbeiten. Ihre journalistische Arbeit fand auch Anerkennung in Großbritannien und Deutschland, hier unter anderem als Leiterin der Afrika-Abteilung bei der Deutschen Welle in Köln.

Südafrika durfte Ruth Weiss erst ab 1990 wieder besuchen – nach der Freilassung von Nelson Mandela. Die südafrikanische Literatur-Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer schrieb über sie: »Auch wenn ich mit ihr befreundet bin, kann ich ganz objektiv sagen, dass sie die menschlich wärmste und anteilnehmendste Frau ist, der ich je begegnet bin.«

In jüngster Gegenwart erhob Ruth Weiss ihre Stimme gegen die ausgrenzende Asylpolitik der deutschen Regierung: »Die Millionen, die heute wegen Konflikten, Instabilität, Armut – oder Hoffnung auf besseres Leben – Asyl suchen, müssten von reicheren Ländern unterstützt, nicht vernachlässigt werden. Ausgrenzung ist eine Schande!«

2010 wurde eine Realschule in Aschaffenburg nach Ruth Weiss benannt, und vier Jahre darauf erhielt sie das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Ihr mutiges Leben ist auch nachzulesen in ihrer Autobiografie »Wege im harten Gras«. Die nach ihr benannte Ruth-Weiss-Gesellschaft setzt sich für Toleranz und den Kampf gegen Rassismus ein.

Ich durfte Ruth Weiss erstmals 2005 kennenlernen: Damals kam sie unangemeldet zu einer Schullesung von mir in Münster. Sie hörte erst lange zu, bevor sie sich meldete und leise sagte: »Ich bin Ruth Weiss und wollte Sie mal persönlich treffen.« Mehrfach besuchte sie unser Haus für benachteiligte Kinder, das wir vor vielen Jahren mit engagierten Erzieher*innen in einem Township bei Kapstadt gegründet hatten, und schrieb Beiträge für gemeinsame Bücher. Zuletzt gehörte sie zu den Erstunterzeichner*innen einer Petition an den Bundestag, die für eine Gedenkstunde zum Internationalen Holocaust-Tag auch für die Angehörigen sexueller Minderheiten als Opfer des Nationalsozialismus plädierte – die es 2023 erstmals gab.

Nun also ihr 101. Geburtstag. Neben der privaten Feier in Dänemark wird es am Abend des 26. Juli ab 19 Uhr eine besondere Veranstaltung zu ihren Ehren geben: René Böll, Sohn von Heinrich Böll, hat mit ostasiatischen Tuschezeichnungen eine Ausstellung gestaltet, die Lebensweisheiten von Ruth Weiss darstellen. Sprechen werden unter anderem der Bürgermeister von Tübingen Boris Palmer sowie Cem Özdemir. Die Veranstaltung kann auch online verfolgt werden.

Möge Ruth Weiss noch lange ihre Stimme erheben können!

Die Ausstellung »Der Mensch braucht Freiheit!« ist vom 28. Juli bis zum 3. August im Innovationszentrum Westspitze, Eisenbahnstr. 1, 72070 Tübingen, zu sehen, geöffnet von 9 bis 19 Uhr.

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