Wenn die Biochemie stimmt
Was dürfen Arbeitgeber über das Erbgut von Beschäftigten in Erfahrung bringen?
Hessen: Gentest vor Verbeamtung
Nach Stand der Dinge dürfen Arbeitgeber also zwar keine Gentests verlangen, wohl aber fragen, ob der Bewerber seine Eignung bereits bei einem Gentest hat feststellen lassen. Auch sollen so genannte »phänotypische Tests« erlaubt sein. Hierzu zählen beispielsweise Sehtests für Piloten, die Rot-Grün-Blindheit ermitteln sollen, obgleich solche Tests einen direkten Rückschluss auf eine genetische Besonderheit zulassen.
Obwohl Gentests von Arbeitgebern bislang in einer rechtlichen Grauzone stattfinden, hat mit Hessen ausgerechnet ein Bundesland bereits von einer Lehrerin vor ihrer Verbeamtung einen Gentest verlangt. Die Frau hatte bei der medizinischen Untersuchung von dem als Chorea Huntington bekannten Leiden ihres Vaters erzählt. Die Wahrscheinlichkeit, das entsprechende Gen geerbt zu haben, liegt bei 50 Prozent. Obwohl die Pädagogin vom Amtsarzt als gesund eingestuft wurde, wollte das Schulamt ihre Verbeamtung ablehnen, wenn sie den Test verweigere oder das Krankheits-Gen geerbt hätte.
Die Pädagogin reichte Klage beim Verwaltungsgericht Darmstadt ein, um dem Schulamt zu untersagen, Gesundheitsdaten ihrer Familie heranzuziehen. Dem Antrag folgten die Richter nicht, aber trotzdem durfte die Beamtenanwärterin nicht abgelehnt werden, da die Wahrscheinlichkeit krank oder gar dienstunfähig zu werden, eben nur 50 Prozent betrage. Das Gericht hielt es aber generell für zulässig, genetische Daten von Familienangehörigen bei einer amtsärztlichen Untersuchung zu berücksichtigen. Ausdrücklich wiesen die Richter jedoch darauf hin, dass der Staat keine genetischen Tests verlangen dürfe, um sich über die Gesundheit von Bewerbern zu informieren. Ein solcher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte sei nur auf der Grundlage eines Gesetzes zu rechtfertigen. Das aber existiere noch nicht.
Dieser Fall zeigt deutlich, welches Interesse Arbeitgeber am Erbgut ihrer Beschäftigten haben könnten. In der Praxis werden vor allem prädiktive Tests angewandt, die Aussagen über die Wahrscheinlichkeit des späteren Auftretens einer Krankheit treffen. Diese haben für das Unternehmen klare Vorteile. Das Risiko einer Belastung durch Lohnfortzahlung wird verringert, das Verursacherprinzip ausgehebelt, denn auftretende Krankheiten könnten nicht nur auf schlechte Arbeitsbedingungen, sondern auch auf die Gene der Beschäftigten zurückzuführen sein.
Freiwilligkeit in der Bewerbungssituation?
Da Gentests am Arbeitsplatz aber nicht ausdrücklich erlaubt sind, brauchen die Arbeitgeber das »Einverständnis« der Betroffenen. Von einer freien Entscheidung kann in einer Bewerbungssituation allerdings kaum die Rede sein. So fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund in einem Beschluss des Bundesvorstandes, dass Arbeitgeber auch »freiwillige« Gentests nicht annehmen dürfen sollen.
Norbert Warga, Datenschutzbeauftragter des ver.di-Bundesvorstandes, befürchtet zudem, dass ein Verbot für Arbeitgeber, auf genetische Daten zuzugreifen, durch Ausnahmen verwässert würde. »Es lässt sich ja nicht ausschließen, dass ein Arbeitsverhältnis nur dann zu Stande kommt, wenn der Arbeitnehmer sich bereit erklärt, seine Daten, die er selbst erfragen darf, auch an den Arbeitgeber weiterzugeben.« Die Gewerkschaften plädieren daher seit langem für das von der Bundesregierung angekündigte Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Hierin, so Warga, soll geregelt werden, wie der Arbeitgeber nicht nur mit genetischen Daten umzugehen hat, sondern mit sämtlichen Gesundheitsdaten seiner Mitarbeiter. »Der von der Bundesregierung versprochene Datenschutz für Arbeitnehmer wird immer am Rande mit geregelt, an das eigentliche Gesetz denkt nicht im Traum jemand.«
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