Das letzte Geheimnis bleibt

Mit Schwester Lucia starb auch das dritte der »Seherkinder« von Fatima

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 4 Min.
Schwester Lucia und die Botschaft von Fatima, einer der größten katholischen Mythen, waren jahrzehntelang untrennbar verbunden. Letzten Sonntag starb die Karmeliterin 97-jährig.
Hätte die jetzt im Karmeliterinnen-Kloster von Coimbra (Portugal) verstorbene Lucia de Jesus dos Santos vier Jahre eher das Zeitliche gesegnet - reichlich Spekulationen um die Geheimnisse, die sie wohl mit ins Grab nimmt, wären sicher gewesen. War doch damals die »Dritte Botschaft von Fatima« noch nicht vom Vatikan enthüllt worden. Es war am 13. Mai 1917, als drei Hirtenkindern in dem portugiesischen Dorf Fatima die Gottesmutter erschienen sein soll. Bis Oktober habe sich Maria einmal monatlich gezeigt und dabei gegenüber Lucia (10), Francisco (9) und Jacinta (7) eine dreiteilige Botschaft verkündet. 1938 enthüllte die nunmehrige Nonne Lucia - Francisco und Jacinta waren bereits gestorben - die ersten beiden Teile der angeblichen Geheimbotschaft. Im ersten Teil geht es um eine Höllenvision, die später als Prophezeiung des Zweiten Weltkrieges interpretiert wurde. Im zweiten Teil ist vom Zorn der Madonna auf Russland die Rede, weil es vom Glauben abgefallen sei. Den dritten Teil der Offenbarung gab Lucia nicht preis, schrieb ihn aber 1941 auf und ließ ihn dem Vatikan zukommen. Bedingung: Nur der jeweils amtierende Papst dürfe das Geheimnis lesen. Wie viele Menschen tatsächlich den Inhalt des Schreibens vor der offiziellen Verkündung im Jahr 2000 kannten, wird nie zu klären sein. In den 60er Jahren wurden einige apokalyptische Versionen davon publiziert. Auf dem Höhepunkt der Kuba-Krise im Oktober 1962, so hieß es, habe Papst Johannes XXIII. Kennedy und Chruschtschow per Sonderkurier über den Inhalt der dritten Fatima-Botschaft informiert. Die seien darüber so erschüttert gewesen, dass die Regierungen der USA und der Sowjetunion einlenkten. Was dann am 26. Juni 2000 vom Leiter der vatikanischen Glaubenskongregation, dem deutschen Kardinal Joseph Ratzinger, auf einer Pressekonferenz in Rom mitgeteilt wurde, hörte sich weit weniger spektakulär an. Es ging um Bischöfe, Priester, Mönche und Nonnen, die beim Besteigen eines Berges den Märtyrertod erleiden. Das Hinbiegen zu einer konkreten historischen Ankündigung wie bei den ersten beiden Teilen der Fatima-Botschaft schien schwierig. Wenn nicht 1981 ein türkischer Terrorist auf dem Petersplatz am Jahrestag der ersten Fatima-Erscheinung (13. Mai) auf Johannes Paul II. geschossen hätte. Denn in der der Nonne Lucia zugeschriebenen Vision ist die Rede von einem »Bischof, gekleidet in Weiß (von dem wir annahmen, es sei der Heilige Vater)«. Und dieser, so heißt es weiter, »wurde von einer Gruppe von Soldaten ermordet, die teils mit Feuerwaffen, teils mit Pfeilen auf ihn schossen«. Bereits zuvor hatte Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano darauf verwiesen, »dass der so genannte dritte Teil des Geheimnisses von Fatima auch das Attentat auf den Papst vor 19 Jahren berührt«. Der schwer verletzte Pontifex hatte sich damals die dritte Fatima-Botschaft in die Gemelli-Klinik bringen lassen und sie dort erstmals gelesen, wie es heißt. Sein knappes Überleben verband er fortan mit der Jungfrau von Fatima. Auch Attentäter Ali Agca hatte 1985 in Rom vor Gericht öffentlich erklärt: »Das Attentat auf den Papst ist mit dem dritten Geheimnis von Fatima verbunden.« Möglich, dass Agca sich interessant machen wollte und die von den Medien reichlich kolportierte Fatima-Legende des Vatikans aufgriff. Da der Türke mit der Enthüllung des dritten Teils der Botschaft aber de facto als Vollstrecker eines göttlichen Willens erschien, sind Gerüchte, er sei vor dem Anschlag über deren Inhalt informiert worden, nie verstummt. Eine Schlüsselfigur bei der Organisierung des Anschlags, der Türke Oral Celik, hatte 1994 in einem Verhör behauptet, Ali Agca sei vor seiner Tat im Vatikan von zwei Kardinälen empfangen worden. Einer davon habe eine rund hundert Jahre alte Vision erwähnt, deren Erfüllung nun Agcas Mission sei. Was Letzterer während des Prozesses indirekt ebenfalls mitgeteilt hatte. Aufschlussreich wurden diese Äußerungen erst mit der Veröffentlichung des Schlussteils der Vision der Seherkinder im Jahr 2000. Dies würde nicht weniger bedeuten, als dass der Attentäter diesen Schlussteil - zumindest seinen wesentlichen Inhalt - vor seinem Opfer, dem obersten Führer der katholischen Kirche, gekannt hätte. Und es wirft die Frage auf, wer damals ein Interesse hatte, einen Mörder auf solch bizarre Art zu motivieren. Andererseits gibt es durchaus Zweifel, ob das dritte Fatima-Geheimnis in seiner 2000 veröffentlichten Form wirklich allein auf die Niederschrift der Nonne Lucia im Jahr 1938 zurückgeht. Schließlich wäre es nicht das erste Mal, dass »göttliche Botschaften« von der Rom-Kirche auf die aktuellen Erfordernisse zurecht redigiert wurden. Die Einzige, die darauf vielleicht noch eine schlüssige Antwort geben konnte, ist nun tot.

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