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Plopp!

»Das Beste sind die Augen« – ein feministischer Horrorroman von Monika Kim

»Das erste Auge ist einfach. Es springt mit einem feuchten Ploppen heraus.«
»Das erste Auge ist einfach. Es springt mit einem feuchten Ploppen heraus.«

Die Studentin Ji-won hat eine Vorliebe für blaue Augen. Oder sagen wir besser: Sie entwickelt eine Vorliebe dafür. Besonders für deren Geschmack: »Ich stecke die Augäpfel in den Mund und schlucke sie ganz, die Sehnerven rutschen meine Kehle hinab wie Spaghetti.« Hm. Vielleicht ist das nicht der richtige Auftakt für eine Literaturrezension.

Fangen wir besser noch mal von vorne an: Ji-won, die Ich-Erzählerin und Hauptfigur dieses Romans, der nicht ohne Grund den Titel »Das Beste sind die Augen« trägt, ist umgeben von Männern der unangenehmen Art. Da ist zunächst einmal der Vater, der die Familie, die in einem der ärmeren Viertel von Los Angeles wohnt, von einem Tag auf den anderen verlässt, um mit einer jüngeren Frau zusammenzuleben. Dann ist da noch Geoffrey, ein sich hyper-woke und progressiv gebender Mitstudent, der sich am Ende als übergriffiger Stalker und fürchterliche Nervensäge entpuppt. Und dann kommt auch noch George dazu, der plötzlich auftauchende neue – weiße und blauäugige – Freund von Ji-wons Mutter: ein misogynes Ekelpaket und verlogener Kotzbrocken. Ein Macker alter Schule, der nicht nur ein – gelinde gesagt – sehr traditionelles Geschlechterrollenbild pflegt und asiatische Frauen fetischisiert, sondern auch eine Art Heiratsschwindler und Betrüger ist. George, der als arroganter Vertreter des Trump-Amerika skizziert wird, zieht schließlich auf Wunsch seiner neuen Partnerin sogar bei ihr und ihren beiden Töchtern ein, sehr zum Unwillen von Ji-won und Ji-hyun, deren jüngerer Schwester. »Männer wie er sind dumm, arglos und überzeugt von ihrer eigenen Relevanz (…) Er glotzt Ji-hyun und mich und alle anderen Frauen ungeniert an, obwohl meine Mutter dabei ist, er behandelt uns wie Objekte, nicht wie Menschen.«

Es existieren also gleich mehrere Probleme: eine Mutter, die Männer uneingeschränkt als Führungsfiguren anerkennt und die sich nicht aus eigener Kraft aus dem für sie vorgesehenen Geschlechterrollenklischee (braves Hausmütterchen, unterwürfige Partnerin) befreien kann; ein Vater, der abwesend ist und sich für seine Töchter nicht interessiert; und das Auftauchen von Männern, die wahlweise rassistisch, sexistisch, ignorant, verlogen oder alles zusammen sind.

Da kann es nicht ausbleiben, dass Ji-won, die gelegentlich alptraumhafte Visionen und Tagträume hat, in denen Gewalt keine untergeordnete Rolle spielt, die These entwickelt, dass »diese Männer schuld an allem sind«. Und irgendwann schließlich zur Tat schreitet. Und wie gesagt Appetit auf menschliche Augäpfel entwickelt: »Die äußere Hülle ist knorpelig. Ich schiebe die Kugel in meine linke Wange und beiße mit den Backenzähnen zu; eine puddingartige Substanz explodiert in meinem Mund.«

Das ist natürlich gut, dass auch mal in der Literatur Gebrauch gemacht wird von dem, was im Horrorfilm »Gore« genannt wird: Szenen und Bilder, »in denen Verletzungen und Verstümmelungen großformatig, farbig und detailliert präsentiert werden« (Wikipedia). Und sei es, wie in diesem Roman, nur auf etwa 20 Seiten von über 350. So etwas hat man ja in der kreuzbraven deutschen Gegenwartsliteratur, deren Zielgruppe hauptsächlich evangelische Religionslehrer(innen) zu sein scheinen, so gut wie nie. Gleichzeitig transportiert der Roman eine antisexistische Botschaft: »Als Serienmörderin übt Ji-won Rache am Male Gaze, indem sie wortwörtlich den männlichen Blick verspeist.« (Südwestrundfunk, (SWR)

Und das tut sie nicht ohne Genuss: »Das erste Auge ist einfach. Es springt mit einem feuchten Ploppen heraus.« Beim Verzehr des zweiten gibt es mehr Schwierigkeiten: »Das austretende Blut macht es glitschig. Ich bekomme es nicht richtig zu fassen und mir bleibt nichts anderes übrig, als es mit den Fingernägeln auszugraben. Ich beiße zu. Das Auge bricht in meinem Mund auf, das Blut schießt mir in den Rachen. Ich winsele wie ein Hund, aber ich kann nicht anders.«

Der Debütroman der koreanischen US-Amerikanerin Monika Kim, in dessen Mittelpunkt eine junge Frau steht, die sozusagen schleichend zur Serienkillerin mutiert, war bei seinem Erscheinen in den USA im vergangenen Jahr ein Bestseller. Das Buch wird allerorten sehr gelobt als »feministischer Horrorroman« (»New York Times«), in dem »Female Rage« ausagiert wird. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch, der nun die deutsche Übersetzung vorgelegt hat, versucht – offenbar in der Absicht, junge Frauen als Zielgruppe zu erschließen – diesen Trend aufzugreifen: »Wütende ›Weird Girls‹, also seltsame Mädchen erobern die Popkultur. Sie sind die Antiheldinnen zum dezenten, lieben und hübschen Vanilla-Girl, zum Clean-Girl, zu den Tradwifes. Frauen, die sich nicht anpassen. ›Weird Girls‹, etwa wie in den Romanen von Ottessa Moshfegh.« (SWR) Noch andere Schriftstellerinnen wären zu nennen: Alison Rumfitt, Mona Awad, Bora Chung, Lucy Rose.

Beurteilt man Romane ausschließlich danach, ob der dem Erzählten innewohnende Geist (hier: feministische Sozialkritik) als fortschrittlich oder reaktionär zu bewerten ist, mag das ja ein wünschenswerter Trend sein. Allerdings auch einer, bei dem es, solang sich das Zeug nur verkauft wie verrückt, auf so etwas wie eine literarische Mindestqualität nicht mehr anzukommen scheint. Denn außer Acht gelassen wird dabei, wie eindimensional die Figuren sind, die Monika Kim, die Autorin, hier entwirft, und auf was für einem armseligen sprachlichen Niveau sie meist schreibt: »Seine schmalen Augen funkeln mich wütend an.« – »Ein Schauer nach dem anderen jagt mir über den Rücken. Ich bekomme am ganzen Körper Gänsehaut.« – »Sie schaut mich an, während die Tränen noch wie Morgentau an ihren Wimpern hängen.« – »Ihr Gesicht war knittrig wie ein zerknülltes Blatt Papier.« – »Die warme Sommerluft streichelt meine Haut.« – »Mein Herz wummert.« – »Ein brutales Hämmern fährt durch meinen Kopf.« – »Tränen kullern über meine Wangen.«

Und das sind nur ein paar Beispiele dafür, wie hier mit der totgenudelten Sprache des Groschenhefts Seite um Seite gefüllt und eine Art literarische Zuckerwatte produziert wird. Wer weiß, vielleicht liegt es auch an der deutschen Übersetzung, nicht ausgeschlossen. Jedenfalls ist es seichte, sprachlich simpel gehaltene Feel-Good-Literatur. Inklusive teils windschiefer Sätze und unfreiwilliger Komik. Erzählt wird in dem nach einiger Zeit ermüdenden Muster »Und dann ist das passiert, und dann ist das passiert«. Von einem eigenen Stil oder so etwas wie einem Formbewusstsein der Autorin ist hier weit und breit nichts zu entdecken. Aber egal, vielleicht ist das ja normal in der Generation Tiktok, der die Verfasserin dieses Romans angehört. Andererseits: Wen interessiert heutzutage überhaupt noch so etwas wie Formbewusstsein in der Literatur? Eben. Die Verfilmung des Buches wird selbstverständlich derzeit schon vorbereitet.

Monika Kim: Das Beste sind die Augen. A. d. Engl. v. Jasmin Humburg. Kiepenheuer & Witsch, 352 S., geb., 23 €.

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