- Kultur
- Erling Kagge
»Mein Nordpol«: Der Wettstreithat begonnen
»Mein Nordpol« – ein abenteuerlicher Report von Erling Kagge
Übertreibt der Norweger Erling Kagge nicht mit seinen Extremabenteuern? Er erreicht 1993 in einer Soloexpedition den Südpol, besteigt ein Jahr später den Mont Everest und schafft es schon 1990, ohne Schlittenhunde oder Motorkraft, mit einem Freund zusammen auf Skiern zum Nordpol.
Hierüber nun verfasste er ein höchstpersönliches Buch: »Mein Nordpol«. Und er beweist: Er kann nicht nur klettern und der Kälte standhalten, er versteht es auch, faszinierend, fesselnd zu schreiben, die riskanten Unternehmungen der Zwei-Mann-Expedition, die Gefahren, Entbehrungen, Emotionen, Enttäuschungen, die Leiden wie die Glücksmomente und das erhabene Gefühl, eins zu sein mit der Natur, seinem Lesepublikum anschaulich und lebhaft zu vermitteln. Eine literarische Glanzleistung.
Der 1963 in Oslo geborene Autor war Rechtsanwalt, hat in Cambridge Philosophie studiert, einen inzwischen renommierten Verlag gegründet, ist verheiratet und hat drei Töchter. Er weiß frappierend viel über »seinen« Nordpol, der freilich der Menschheit gehört, nicht nur zwei oder rivalisierenden Staaten, sondern in der Vorstellungswelt vieler Völker einen festen Platz hat. Er lässt seine Leser und Leserinnen an den Fahrten der neuzeitlichen Nordpolforscher teilhaben, berichtet von den teils tragisch endenden Wettläufen zum Pol. Er klärt darüber auf, dass es viele Nordpole gibt. Einerseits den geografischen Nordpol, an dem sich die Meridiane schneiden. Andererseits den magnetischen, der wegen des schwappenden flüssigen Erdkerns aus Eisen fortwährend wandert und sich in ein paar Hunderttausend Jahren umkehren wird, sodass der Kompass – wenn es dann noch einen Menschen geben sollte, der einen solchen benutzt – nach Süden ausgerichtet ist. Und er spricht vom astronomischen Nordpol, durch den Polarstern markiert.
Kagge und sein Begleiter gönnen sich unterwegs die Muße, die erstaunliche biologische Vielfalt, Flora und Fauna der Arktis zu bewundern und zu beobachten, frostfeste Pflanzen und kälteresistente Tiere in der Luft, im Wasser und auf dem Eis. Der Autor problematisiert natürlich auch den menschengemachten fatalen Wandel, den die Erderwärmung in der Arktis auslöst.
Auch wenn das Polarmeer dadurch zu einer zunehmend stärker frequentierten Schifffahrtsroute avanciert, ist dieser Trend keinesfalls zu begrüßen, sondern beunruhigend – nicht zuletzt durch die geopolitischen Auswirkungen. Unter den gewaltigen Massen von Eis und Wasser lagern Rohstoffe, an denen verschiedene Staaten interessiert sind. Der Kampf um die Ausbeute hat längst begonnen. Und er wird gnadenloser ausgetragen als dereinst der Wettstreit darum, wer als erster den Pol erreicht.
Erling Kagge: Mein Nordpol. Eine Biografie. A. d. Norweg. v. Ebba D. Drolshagen. Insel, 495 S., geb., 28 €.
Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.