Der lange Marsch von der Spartakiade zu Olympia

Rollsport für alle: Speedskating ist eine Sportart, die 2012 ihre Olympia-Premiere erleben könnte

Das Weltsportereignis 2005 wird in Deutschland stattfinden. In Duisburg werden vom 14. bis 24. Juli die World Games ausgetragen, die Weltspiele von 40 nicht-olympischen Sportarten. In 177 Einzeldisziplinen wie Korfball, Fallschirmspringen, Frisbee oder Karate werden die Sieger ermittelt. 3500 Sportler aus mehr als 100 Nationen sind dabei. ND stellt bis zum Sommer einige der Sportarten vor.
Diese Geschichte ist wahr, aber deswegen nicht weniger märchenhaft: Da wird ein Mann 52 Mal Weltmeister und eine Legende in seinem Sport, bis er praktisch über Nacht entschied, mal was Neues auszuprobieren - um dort schließlich am Ende wieder der Beste von allen zu sein. Chad Hedrick aus den USA war 52 Mal Weltmeister im Speed-skaten, Weltrekordhalter und Vorzeige-Athlet, als er sich im Dezember 2002 entschloss, von den Inlinern aufs Eis zu wechseln. 25 Jahre war er damals und der Wechsel ein Wagnis. Doch schon 2004 hatte sich die Mühen der Umstellung gelohnt: In Hamar (Norwegen) wurde er Mehrkampf-Weltmeister und später Titelträger über 5000 m, am Ende sogar der »Eisschnellläufer des Jahres«.

Inliner »Made in GDR«
Erfolgsgeschichten dieser Art schwebten einst auch Sportfunktionären in der DDR vor: Um für den medaillenträchtigen, aber teuer subventionierten Eisschnelllauf aus einem großen Nachwuchsreservoir schöpfen zu können, wurde bis 1990 auch der »Rollschnelllauf«, wie das Speedskating damals hieß gefördert. »Bei der Kinder- und Jugendspartakiade war Rollschnelllauf die einzige nicht-olympische Sportart, die ausgetragen wurde«, weiß Katharina Berg zu berichten. Die heute 42-jährige Geraerin gewann 39 DDR-Meistertitel in dieser Disziplin. Dennoch: Ihre erste EM erlebte sie erst nach dem Ende der DDR - 1992 auf Sizilien. Denn bis 1990 endete die intensive Förderung in der Altersklasse (AK) 13.
»Nach der AK 13 wurden die Besten zum Eisschnelllauf nach Erfurt delegiert«, erzählt Katharina Berg, »um die Erwachsenen wurde sich nicht mehr gekümmert. Es gab ja keine Olympiamedaillen zu gewinnen. Zur EM durften wir nie.« Vorm geplanten Wechsel aufs Eis fuhren die DDR-Nachwuchsakteure damals sogar einen Schuh, der den heute so populären Inlinern (eingeführt 1992) ähnelte: mit vier Rollen auf einer Schiene, statt paarweise nebeneinander.
Katharina Berg ist mittlerweile Junioren-Bundestrainerin und ihr Verein RSV Blau-Weiß Gera immer noch ein Zentrum des Rollsports und neben Blau-Gelb Groß-Gerau in Hessen das bedeutendste hierzulande. Noch immer stehen die Rollschnelläufer/Speedskater nicht gerade im Mittelpunkt der Sportförderung, die Sportberichterstatter machen meist einen Bogen um die Wettbewerbe. Nur 4500 Mitglieder hat die Speedskating-Abteilung des Deutschen Rollsport- und Inline-Verbandes (DRIV), seine Aktiven liegen international im Mittelfeld.
Der Sport selbst aber ist in den vergangenen 15 Jahren populär geworden: Vom Trend zur Massenbewegung, vom Lifestyle-Gag zu einer Lebenseinstellung, wie es einst der Laufsport mit den Joggern erlebte. Auf mehr als 20 Millionen wird die Zahl der Freizeitskater in Deutschland geschätzt, sagt Irmelin B. Otten, Speedskating-Verantwortliche beim Verband. »Es werden mittlerweile mehr Inliner verkauft als Alpinski«, sagt sie stolz. Am Dienstag konnte sie mit den Veranstaltern der World Games in Duisburg die Skate-Arena der Spiele 2005 einweihen. Sie freut sich über die neue Anlage wegen ihrer »Nachhaltigkeit«, denn: »Die Anlage dient Freizeit- und Leistungssportlern gleichermaßen.« Speedskating habe ein »Riesenpotenzial«. Untersuchungen hätten ergeben, dass Inline-Sport in den nächsten Jahren ähnlich in den Fokus der Öffentlichkeit geraten wird wie einst Tennis.
Kandidat für 2012
Das IOC hat die Zeichen der Zeit erkannt. Speedskating gilt als Mitfavorit, wenn im Juli 2005 in Singapur bei der IOC-Session neben der Olympiastadt 2012 auch deren Sportarten bestimmt werden. Aber auch Rugby, Golf, Squash und Karate sind noch im Rennen und werden nach 33 Kriterien wie Tradition, Entwicklung und Durchführbarkeit geprüft. Moderner Fünfkampf, Baseball und Softball sind Streichkandidaten. Die Skater machen bis Juli im Internet mobil: Auf www.skate-for-olympia.com rühren sie die Werbetrommel, initiieren Aktionen und sammeln Unterschriften. So wie sich ihr Sport bisher entwickelt hat, wird das IOC womöglich gar nicht mehr an den Skatern vorbei kommen. Vielleicht eine neue Erfolgsgeschichte.


Speedskating
Geschichte:
Die ersten Rollschuhe wurden 1760 in Belgien konstruiert, das erste Patent 1819 an einen Franzosen vergeben. Die ersten WM fanden 1937 in Monza/Italien statt.
World Games Gewinner 2001: Taiwan (4 mal Gold), Kolumbien (3), USA (2) Italien (1).
Distanzen: 300 bis 10000 m.
Deutsche Starter: Sechs, fünf davon mit Wildcard, nur Matthias Schwierz (Tuttlingen) ist als 5. der WM über 300 Meter direkt qualifiziert.
Material: Extrem wichtig, verschieden harte Rollen für verschiedene Beläge, Schuhe entweder mit fünf oder vier großen Rollen.
Deutsche Spitzenvereine: Blau-Weiß Gera, SV Blau-Gelb Groß-Gerau.
Verbände: National: Deutscher Rollsport- und Inline-Verband, www.DRIV-speedskating.de, www.rollersports.org
Austragungsort: Duisburg, Sportpark Wedau, Skate-Arena, 18.7. - 20.7.

www.worldgames20005.de.


Bisher erschienen: Rugby (17.3.), Sportklettern (10.2.), Flossenschwimmen (20.1.).
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