Von Renato Lorenz, Rechtsanwalt
Mit seiner Verordnung über das Ruhen des Anspruches auf Arbeitslosengeld bei Zusammentreffen mit Versorgungsleistungen der Sonderversorgungssysteme (BGBI 1997 Teil I Nr 88 ) setzt sich Bundessozialminister Blüm nicht nur über allgemeine Grundsätze der Gleichbehandlung hinweg, sondern ignoriert obendrein geltende Rechtsprechung. Die Verordnung bestimmt, daß unter anderem Invalidenteilrenten vom Arbeitslosengeld abzuziehen sind.
Mit Urteil vom 19 3. 1997 (Az. S 1 Ar 70/96) bestimmte das Sozialgericht Stendal, daß die Minderung von Arbeitslosengeld durch die Invalidenteilrente rechtswidrig ist. Erfolgreich angefochten wurde in dem Verfahren die Verordnung über das Ruhen von Lohnersatzleistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz bei Zusammentreffen mit Versorgungsleistungen der Versorgungssysteme. Darin war undifferenziert festgelegt, die Invalidenteilrente als Ruhenstatbestand analog der Altersrente zu behandeln. Dies aber verstößt laut Urteil gegen den §118 Abs. 4 Satz 1 ÄFG (jetzt § 151 Abs. 2Nr 3 SGB III), der die Möglichkeit der Gleichstellung von Versorgungen nach AAÜG mit der Altersrente durch Verordnung zur Vermeidung von Doppelleistungen eröffnet.
Der Sinn der Invalidenteilrente ist, daß der Leistungsberechtigte für einen
bestimmten zeitlich begrenzten Lebensabschnitt einen teilweisen Ausgleich dafür erhält, daß er wegen seines Gesundheitszustands nicht mehr voll in der Lage ist, Erwerbseinkommen in seinem Beruf zu erzielen.
Invalidenteilrente ist auch kein voller Lohnersatz, sondern am Grad des Körperschadens ausgerichtet. Weiterhin ist zu sehen, daß daneben erzieltes Nettoeinkommen bei Erreichen bestimmter Grenzen auf die Invalidenteilrente angerechnet wird, so daß sie sich reduziert, wenn der Rentenempfänger nunmehr durch die Rente und durch das Arbeitseinkommen mehr erhalten würde als wenn er ohne die Dienstunfähigkeit weiter gearbeitet hätte. Auf die Altersrente hingegen wird Arbeitsentgelt nicht angerechnet. Durch diese grundlegenden Unterschiede zwischen der Altersrente der gesetzlichen Rentenversicherung und der Invalidenteilrente ist eine Vergleichbarkeit beider Rentenarten nicht gegeben, so daß Gleichstellung unzulässig ist. Weil der Verordnungsgeber sogar ausdrücklich auf die Altersrente Bezug genommen hat, ist diese auch rechtswidrig und unbeachtlich. Soweit die rechtskräftigen Feststellungen im Urteil.
In der Praxis wird nach der neuen inhaltlich analogen Verordnung bei Eintritt von Arbeitslosigkeit das Arbeitslosengeld um die Invalidenteilrente gekürzt, allerdings höchstens um den Betrag, der sich aus der Differenz zwischen Nettoeinkommen und Arbeitslosengeld ergibt. Das heißt, daß Invalidenteilrentner regelmä-ßig statt 67 oder 60 Prozent nur 34 Prozent bis 20 Prozent vom Nettoeinkommen als Arbeitslosengeld erhalten werden soweit sie sich dagegen nicht mittels Widerspruch wehren, der in der ersten Gerichtsinstanz durchaus Erfolgsaussichten haben dürfte.
Die Frage, ob vor dem Maßstab des Grundgesetzes der Gesetzgeber Bürger zum Versicherungsbeitrag verpflichten und gleichzeitig den Versicherungsschutz verweigern bzw. einschränken darf, ist dabei noch gar nicht beantwortet.
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