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Der Krimsekt-Skandal

Echt oder gefälscht – ein Jiarter Fall für die Hygieneinspektion

  • Lesedauer: 3 Min.

Fotos: Rainer Raeder

Von Robby Kupfer

Guten Morgen! Und, wie geht es Ihnen heute? Immerhin, Silvester ist ja bereits annähernd 40 Stunden vergangen. Der gröbste Kater sollte sich langsam verziehen, der hirnzerreißende Kopfschmerz - Sie wissen schon, der vom Halswirbelansatz bis knapp über die linke Augenbraue - müßte sich erfahrungsgemäß zumindest auf dem Rückzug befinden. Nichts dergleichen? Der Schädel hat noch immer die Ausmaße eines Breitwandfernsehers, die Magengrube befindet sich kurz unterm Gaumenzäpfchen? Dann müssen wir hier dringend zwei medizinisch korrekte Fragen stellen. Er-

Die Stätte des Grauens am Tag danach

stens: Wo haben Sie gefeiert? Und zweitens: Was haben um Gottes willen Sie getrunken?

Sollten Sie erstens zufällig im »Tanz-Cafe zum sauren Brötchen« gefeiert haben, so können wir Sie beruhigen - es ist seit gestern, Neujahr, 12 Uhr, geschlossen. Nachdem 37 der mehr als 100 Gäste bereits in der Silvesternacht in die umliegenden Krankenhäuser eingeliefert werden mußten (einige Dutzend Gäste werden noch immer vermißt - bitte dringend melden!), nahm die zuständige Hygieneinspektion noch am Neujahrsmorgen die Untersuchungen auf. Schuld am magenumstülpenden Zustand der meisten Partygäste seien demnach ersten Ermittlungen zufolge mitnichten der zu-

nächst verdächtigte und avantgardistisch anmutende »Heringscocktail an Algenmousse auf Muschelschaumbett« gewesen, sondern ausschließlich der Sekt. Dieser, als ' »Krimsekt-Hausmarke« zum Preis von 69,90 DM am Abend verkauft, sei eine »außergewöhnlich üble Mischung verschiedenster niederer Tafelweine, angesetzt und zum Sekt vergoren mit sauren Brötchen« gewesen, so die Hygieneinspektion.

Doch damit noch nicht genug. Denn falls Sie irgendwo anders die Silvestersau rausgelassen haben und Ihnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt immer noch speiübel ist, kann auch Variante zwei eingetreten sein. Im Keller des unscheinbaren Tanz-Cafes fanden die Hygieneinspektoren nämlich nicht nur die Sekt-Panschstation, sondern den, wahrscheinlich europaweit, größten Fälschungsstützpunkt für »Krimsekt«.

Eine kleine Auswahl der professionell

hergestellten und semiprofessionell etikettierten Getränke, die alles, nur keinen Krimsekt enthalten (nähere Angaben möchten wir Ihrem strapazierten Magen ersparen), sehen Sie auf dem Foto. Es handelt sich dabei um Flaschen, die für den Export nach Tschechien, Polen und - natürlich - Rußland, bestimmt waren. Die Menge des im Keller und in einer nebenliegenden Lagerhalle aufgefundenen Beinahe-Krimsekts beläuft sich auf zirka 800 000 Flaschen.

Aus den erstaunlicherweise akribisch geführten Bestellisten ging hervor, daß seit September 1998 nahezu eine Million Flaschen »echten Krimsekts« ausgeliefert wurden, etwa das Doppelte des auf der Krim selbst hergestellten Krabbelwassers. Sollten Sie also eine oder mehrere des wunderbar prickelnden Gesöffs Silvester knallen gelassen haben, kann es durchaus eine miese Fälschung gewesen sein.

Doch keine Sorge: Ihre Symptome sollten in spätestens einer Woche abgeklungen sein. Wenn nicht, versuchen Sie es doch mal mit »Faber-Sekt«. Ein paar Schlucke genügen, und Sie sehnen sich geradezu nach dem Krimsekt-Kopfschmerz.

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