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Ode an die Tatkraft

Charlotte Bechstein malt »Szenen einer Hoffnung«

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 6 Min.
Das Buch beginnt damit, dass eine alte Frau mit einer Plastiktüte durch den Park läuft und Abfälle aufsammelt, einfach, weil es sonst keiner macht. Anna-Susanna - sie wird im Laufe der Handlung noch ihren 75. Geburtstag feiern - trägt eine Bomberjacke der Royal Airforce (sie sei ihm Krieg verschüttet gewesen, und es sei ein Zeichen, dass sie verzeihen kann, meint ihre Enkelin). Die Großmutter wird es mit Kampfhunden aufnehmen und mit Einbrechern. Den Oberbürgermeister, der sie für ihr Müllsammeln mit einer Rose beschenken will, faucht sie an: »Wenigstens das, wofür Sie verantwortlich sind, sollten Sie wahrnehmen, wenigstens das Unsere Kinder hängen arbeitslos herum, viele gehen weg. Häuser im Zentrum stehen leer. Die Handelseinrichtungen sind geschlossen. In den Torbögen daneben bieten ausländische Billigwarenhändler ihren Trödel an « - Man sieht, das Buch könnte fast in jeder ostdeutschen Stadt handeln, auch wenn die Autorin in Gotha wohnt. Die Frau sagt, was viele denken: »Voriges Jahr durften unsere Bauleute in der Weststadt zusehen, wie polnische Bauarbeiter für einen westdeutschen Auftragnehmer unsere Häuser saniert beziehungsweise abgerissen haben. Sie haben denen die Aufträge zugeschanzt.« Leute bleiben stehen. »Was soll aus unseren Kindern werden, was nur? Schämt ihr euch nicht, interessiert euch das nicht?« Aber eine alte Mutter, die für andere den Müll aufliest, wird es mit Schimpfen nicht bewenden lassen. Was hier erzählt wird ist die Geschichte einer Initiative, der sich noch weitere Frauen anschließen. Der »Lippert-Stiftung: Arbeit für unsere Kinder« gelingt es tatsächlich, einigen Arbeitslosen zu helfen. Auf einer Bank vor dem Rathaus hält Anna-Susanna Sprechstunden ab, unter den Blitzlichtern der örtlichen Presse, die sich von solcherlei Berichten natürlich Leserresonanz erhofft Ich stelle mir vor, dass aus dem Manuskript ein Fernsehfilm würde. Am besten für den MDR. Charlotte Bechsteins Text ist ja fast schon ein fertiges Drehbuch. Mit kurzen Sätzen, die Handlungsabläufe benennen, und klaren Dialogen. Man würde nur noch ein paar ältere populäre Schauspielerinnen brauchen, und fertig wären die »Szenen einer Hoffnung«, die wunderbar, aber beim genauen Bedenken gar nicht so fantastisch sind. In einer Kleinstadt lassen sich auf so geschickte Weise, wie es Anna-Susanna tut, durchaus die verschiedensten Interessen nutzen, um etwas ins Lot zu bringen. Der Spaß liegt darin, die Raffinesse der alten Frau zu beobachten, mit der sie unterschwellig auch der Abwertung des Alters in dieser Gesellschaft widerspricht. Sie hilft im kleinen. Gibt es nicht allerorten genug zu tun, sagt sie sich, da braucht doch niemand zu Hause herumzulungern. Ihr Vorgehen ist einfach: Sie fragt, was jemand kann und überlegt dann, wer für solche Leistung etwas bezahlen würde. Wie viel, danach wird erstmal nicht gefragt. Warum soll eine junge Frau nicht putzen gehen? Die Gegenwart mit den Augen einer Frau aus der Kriegsgeneration gesehen. Sehr genau hat Charlotte Bechstein den Charakter der Anna-Susanna gezeichnet, ihre tief verwurzelte Hilfsbereitschaft, der auch etwas Forderndes innewohnt. Enthusiasmus des Wiederaufbaus - nur, heute ist es eben nicht mehr so, dass alle ganz klein anfangen müssen. Heute haben die einen durch Herkunft und Glück, nicht nur durch Leistung, sehr viel und die anderen sehr wenig zum Leben. Ist es ein Konzept, Arbeitslosen schlechtbezahlte Jobs zu vermitteln, damit sie ihre Miete pünktlich bezahlen können, wie es sich gehört? Anna-Susanna würde sagen: Besser als nichts. Vehement spricht sie aus, was vielen Leuten auf dem Herzen liegt, die sich ein geordnetes Umfeld wünschen. Die Straßen sollen sauber sein, und Hunde, die alten Leuten Angst machen, gehören an die Leine. Dass ein Sprayer von seinem Vater eine Ohrfeige bekommt, findet sie richtig: »Ein Arsch voll zur rechten Zeit - Entschuldigung für das drastische Wort - ist besser als eine Einweisung in den Strafvollzug.« Da schluckt man erstmal. Für Protestgesten hat die alte Frau offenbar wenig Sinn. Aber inwieweit kann man von Ausgegrenzten erwarten, dass sie sich sozial verantwortlich verhalten? Man muss, würde Anna-Susanna antworten, wie soll es denn sonst weitergehen. Es ist die Verzweiflung über die Lage in ihrer Stadt, die sie treibt. »Werde ich von Idioten regiert?«, empört sie sich. »Die können nicht über ihren Tellerrand gucken, aber sie wollen Europa « Aber das Aber wie soll es generell weitergehneß Damit hat sie wohl Recht. Außerdem: Viele Menschen denken so. Warum müssen Die soziale Ungerechtigkeit schreit zum Himmel. Aber Politiker und Medien haben es geschafft, den Unmut der kleinen Leute, auf diejenigen umzulenken, denen es noch schlechter geht. Von den Ausgegrenzten wird soziales Verhalten gefordert, »Selbstverantwortung«, »Abschied von der Versorgungsmentalität«. Dass es um eine andere Verteilung des gesamtgesellschaftlichen Reichtums geht, ist huetzutage ja auch nur dei halbe Wahrheit, denn die Frage steht ja nicht mehr nur im Rahmen des eigenen Landes. Die »Billigwarenhändler«, über die sich Anna-Susanna mokiertegeGewissenhaftigkeit, Staat nicht »auf der TascheDagegen kann Anna-Susanna mit ihrem Bemühen, Ordnung zu schaffen wenig ausrichten. Dass jemand menschenwürdig existieren kann, darum geht es ihr, und dass er sich so gehört, seine Miete zu bezahlen.Anna-Susanna fordert von den Ausgegrenzten soziales Verhalten ein. eb Erfah, Über Arm und Reich wird nicht diskutiert, sondern nur über Fähige oder Unfähige. Da höre ich beim Lesen immer wieder Beifall auf offener Szene. Jemand haut mit der Faust auf Holz und ruft »So isses!« Und jemand wiegt zweifelnd den Kopf. Das Buch ist ein Diskussionsangebot. Mit solchem Ziel aber, fürchte ich, würde ein Film, so es ihn überhaupt gäbe, wahrscheinlich nicht inszeniert werden, sondern eher als Hoffnungsstory mit viel Humor. Und mit Happy-End, wenn Anna-Susanna das Bundesverdienstkreuz bekommt, sich heimlich vom Buffet etwas in die Tasche steckt und es dann neben einen schlafenden Obdachlosen auf die Parkbank legt. - Bitte, liebe Frau Bechstein, möchte ich rufen: Das ist Kitsch! - Was ist Kitsch?, könnte ihre Gegenfrage lauten. Was haben Sie gegen das Populäre? Und überhaupt: Warum wird »populistisch« als Schimpfwort gebraucht, wenn es darum geht, was Millionen Menschen wollen. - Weil es solche einfachen Lösungen nicht gibt. Was Sie vorschlagen, funktioniert bestenfalls im Kleinen! - Und wenn es im Kleinen funktioniert ist es doch besser als gar nichts, oder? Besser als dieses lähmende Gefühl, dass hier zu Lande alles den Bach runtergeht. - Ja, aber Wir leben nun mal im freien Raum und immerhin noch in ziemlichem Wohlstand. Wenn Anna-Susanna sagt »unsere Kinder«, die Polen und die Afrikaner sind ihr da ganz egal, dann liegen gefährliche Assoziationen nahe. - So seid ihr linken Journalisten: Ihr fürchtet euch vor gefährlichen Assoziationen. Aber die realen Gefahren in diesem Land ... - Moment mal - Lassen Sie mich ausreden Das ist natürlich kein Gespräch mit der Autorin. Möglicherweise würde sie ganz anderes sagen. In mir selbst habe ich beim Lesen die ganze Zeit über widerstreitende Stimmen gehört. Da hat es dieses an sich ziemlich einfach geschriebene Buch durchaus in sich. Und abgesehen davon, was man durchdenkt: Auf das Gefühl wirkt es als eine Ode an die Tatkraft. Man freut sich, dass Anna-Susanna etwas anpackt und dass sie nicht gleich aufgibt, wenn es schwierig wird. Erstmal in Bewegung kommen und dabei zusammenfinden, in der Aufbruchsstimmung wird manches gelingen, was früher unmöglich schien. Charlotte Bechstein: Anna-Susanna geht stiften. Szenen einer Hoffnung. Quartus Verlag. 121 S., brosch., 7,90.
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