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  • Politik
  • Vor 150 Jahren: Der Fall der Festung Rastatt

«Schlaf, mein Kind, schlaf leis, dort draußen geht der Preuß'»

  • Walter Schmidt
  • Lesedauer: 7 Min.

Übergabe der Festung Rastatt, 23. Juli 1849 Abb. aus: «Illustr. Geschichte der Revolution 1848/49»

Rastatt, erst in den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu einem militärischen Bollwerk gegen Frankreich ausgebaut, hat sich 1849 einen Ehrenplatz in der an demokratischen Traditionen nicht allzu reichen deutschen Geschichte erobert. Keine andere deutsche Festung kann sich rühmen, der Revolution gedient zu haben. Hier begann am 12. Juni 1849 der Aufstand badischer Soldaten, der die Festung in ihre Gewalt brachte und schließlich die Armee des ganzes Landes auf die Seite der Revolution. In Rastatt verschanzten sich sechs Wochen später die geschlagenen Kämpfer der Reichsverfassungskampagne und machten die Festung zum letzten Stützpunkt der deutschen bürgerlich-demokratischen Revolution. Mit ihrer Kapitulation endete am 23. Juli 1849 der bedeutendste Versuch des deutschen Volkes, einen demokratischen Nationalstaat «von unten» zu schaffen.

Nachdem Ende 1848 die Konterrevolution in Österreich und in Preußen bereits gesiegt hatte, erlebte die deutsche Revolution im Frühjahr 1849 nochmals einen Aufschwung, der den Schlachten der Märzrevolution ebenbürtig war und sie hinsichtlich des politischen Bewußtseins der Revolutionäre übertraf. Noch einmal wetterleuchtete die Chance einer «zweiten Revolution», die den Vormarsch der Konterrevolution stoppen und im Gegenzug der Demokratie in einem geeinigten Deutschland zum Durchbruch verhelfen sollte. Ausgelöst wurde die erneute Welle revolutionärer Erhebungen durch die Weigerung Preußens und anderer deutscher Staaten, die vom deutschen Nationalparlament am 28. März 1849 angenommene Reichsverfassung anzuerkennen und auf ihren Territorien zur Geltung zu bringen. Gegen den Willen der Liberalen, die statt sich mit dem rvolurioharaktiven Volk zu verbünden, um ihr ureigenstes Kind, die von ihnen ausgearbeitete und parlamentarisch verabschiedete Verfassung durchzusetzen, vielmehr- wie es der Abgeordnete Gabriel Riesser ausdrückte - im «Sieg einer despotischen, selbst blutigen Reaction das geringere Übel» sahen als in einem erfolgreichen

Bürgerkrieg zur Niederwerfung der adligmonarchischen Kräfte, nahmen Arbeiter, Handwerker, Gesellen und revolutionär gesinnte Intellektuelle an zahlreichen Orten den Kampf für diese Verfassung auf. Freilich ging es ihnen zugleich um mehr. Zahlreiche Arbeiter, die das Rückgrat der Bewegung bildeten, wollten ebenso wie die revolutionären Demokraten die Macht der Reaktion brechen und die Volkssouveränität realisieren, strebten nicht eine konstitutionelle Monarchie an, sondern sahen in einer sozialen Republik ihr Ziel. Bereits Anfang Mai waren bewaffnete Kämpfe in Sachsen und in Preußen ausgebrochen. Doch sowohl der Dresdener Aufstand vom 3. bis 7. Mai wie die Erhebungen in .Breslau am 6. und 7 Mai als auch die gleichzeitigen Insurrektionen im « ?fheinischen 1 Elberfeld und Iserlohn wurden vom preußischen Militär rasch im Blute erstickt. Lediglich die von Bayern regierte Rheinpfalz und Baden, wo Mitte Mai die Macht an Demokraten übergegangen war und die Ressourcen größerer Territorien für die Revolution genutzt werden konnten, boten da noch eine freilich geringe Chance, der Konterrevolution

Paroli zu bieten und von hier aus eventuell andere Teile Deutschlands noch einmal zu revolutionieren. Die badische und bayrische Konterrevolution konnten die Demokraten zwar erfolgreich in Schach halten. Gefahr drohte indes aus dem deutschen Norden. Preußen intervenierte - wie schon in Sachsen - sofort militärisch unter dem Oberkommando des Prinzen von Preußen, des »Kartätschenprinzen«, mit drei Armeekorps und 55 000 Mann und drängte die aus badischen Linientruppen, Volkswehren und Freischaren mit rund 30 000 Kämpfern bestehende Revolutionsarmee seit Anfang Juni nach Süden. Als die vom polnischen Revolutionär Ludwik Mieroslawski befehligten Revolutionstruppen nach erbitterten und blutigen Abwehrkämpfen bei Waghäusel und Durlach am 29 Juni schließlich an der Murg eine entscheidende Niederlage erlitten, zog sich ein Teil der sich auflösenden Armee über das badische Oberland in die Schweiz zurück, während rund 5000 in der Festung Rastatt Zuflucht suchten. Gut drei Wochen vermochte sich die von Gustav Tiedemann kommandierte und recht gut mit Proviant und Munitionsvorräten versehene Festung gegen die preußischen Belagerer unter General von der Groeben halten. Der preußische General hatte nicht die Absicht, die Festung militärisch zu erobern. Soweit er Rastatt beschießen ließ, nahm er nichtmilitärische Einrichtungen, die Gebäude der Zivilbevölkerung ins Ziel. Demoralisieren und Aushungern war seine Taktik.

Als mehrere Ausbruchsversuche der Belagerten gescheitert waren, wuchs denn auch der Einfluß kompromißbereiter, auf eine Kapitulation hinwirkender Kräfte in der politischen und militärischen Führung gegenüber den im »Klub des entschiedenen Fortschritts« unter Leitung des Redakteurs des »Festungsboten« organisierten Verfechtern einer entschlossenen Fortführung des Kampfes. Da bot von der Groeben an, zwei Vertreter der Besatzung mögen sich im Lande vergewissern, daß Baden fest in der Hand preußischer Truppen ist und jede Hoffnung auf Entsatz illusionär sei. Dem war in der Tat so. Als Otto von Corvin, einer der beiden, die Baden zwei Tage bereisen durften, im Festungskriegsrat darüber berichtete, unterließ er allerdings, auch mitzuteilen, daß im ganzen Land Standrecht herrscht. In der trügerischen Hoffnung auf ehrenvolle Behandlung der Festungsbesatzung ließ der Festungskommandant seinen Plan fallen, die Festung zu sprengen und sich durch einen militärischen Ausfall nach Frankreich durchzuschlagen. Am Vormittag des 23. Juli unterzeichneten Otto von Corvin und Ernst G. von Biedenfeld die Kapitulationsurkunde, die die Besatzung den Belagerern »auf Gnade und Ungnade« auslieferte.

Von Gnade und ehrenvoller Behandlung war keine Rede mehr, nachdem die Revolutionssoldaten am Nachmittag des 23. Juli ihre Waffen abgeliefert hatten. Die 5000 Soldaten wurden als Gefangene zurück in die Festungskasematten getrieben und dem Hungertyphus ausgeliefert, dem viele zum Opfer fielen. 19 Revolutionäre wurden vom Rastatter Standgericht zum Tode verurteilt und umgehend erschossen, darunter der Festungskommandant Gustav Tiedemann, der Kommandeur der Linientruppen von Biedenfeld, der Kommandeur der Volkswehren Georg Böning und der radikal-demokratische Redakteur des »Festungsboten« Ernst Elsenhaus, aber auch der ehemalige Sekretär des Kölner Arbeitervereins Johann ;Jansen, der das Mjmnheimer - Yolfcw/ehrljät^Uron|' kommandiert hatte. Nur Otto von Corvin, ebenfalls zum Tode verurteilt, wurde auf Fürsprache von der Groebens zu zehn Jahren Zuchthaus begnadigt. Auch anderenorts in Baden wütete der preußische Standrechts-Terror. In Freiburg fiel der junge Potsdamer Demokrat Maximilian Dortu unter preußischen Kugeln, in Mannheim der sächsische Radikaldemokrat und Abgeordnete der Frankfurter Nationalversammlung Wilhelm Adolph Trützschler, der als badischer Zivilkommissar gewirkt hatte. Damals machte das von Ludwig Pfau verfaßte badische Wiegenlied die Runde im Land: »Schlaf, mein Kind, schlaf leis. / Dort draußen geht der Preuß 1 ! / der Preuß hat eine blut'ge Hand, / Die streckt er über's bad'sche Land ... Schlaf, mein Kind, schlaf leis, / Dort drau-ßen geht der Preuß'! / Gott aber weiß, wie lang' er geht, bis daß die Freiheit aufersteht, / Und wo dein Vater liegt mein Schatz, / Da hat noch mancher Preuße Platz! / Schrei, mein Kindlein, schrei's: / Dort draußen liegt der Preuß' «

Die Niederlage der Revolution, die mit dem Fall der Festung Rastatt endgültig war, zerstörte alle Hoffnungen auf einen parlamentarisch-demokratisch organisierten deutschen Nationalstaat. Die adlig-monarchischen Kräfte hatten überall wieder die Alleinherrschaft erobert; und mit ihrer Macht verschwanden Schritt um Schritt die bürgerlich-demokratischen Rechte und Freiheiten, die die Märzrevolution errungen hatte. Erneut verfestigte sich die politisch-staatliche Zersplitterung. Demokraten wie Liberale traf in freilich unterschiedlichem Grade die politische Unterdrückung.

Die wichtigste negative Folge der Revolutionsniederlage war aber, daß Adel und Fürsten der Entwicklung zu einer bürgerlichen Gesellschaft weiterhin ihren Stempel aufzudrücken vermochten. Aber sie konnten den Weg in die kapitalistische »Moderne« nicht mehr verhindern. Die Revolution, obwohl niedergeworfen, zwang sie dennoch, Konzessionen den Interessen der Bourgeoisie und des bürgerlichen Fortschritts Konzessionen zu machen. Die durch die Revolution erzwungene Konstitutionalisierung des politischen Lebens war trotz starker konservativer Restriktionen in Preußen und vielen anderen deutschen Staaten nicht mehr rückgängig zu machen. Agarreformen beseitigten überall in Deutschland die feudalen Verhältnisse auf dem Lande und ließen die Bauern als die eigentlichen Gewinner der Revolution erscheinen.

Die Emanzipation der Arbeiter, die 1848/49 ihren ersten Höhepunkt erlebt hatte, konnte zwar zeitweilig gestoppt, aber nicht aufgehalten werden. Sobald sich in den 1860er Jahren die politische Szenerie wieder belebte, wurden die 1848er Traditionen aufgegriffen und der Parteibildungsprozeß des Proletariats erfolgreich zu Ende geführt. So waren dem Scheitern der Revolution durchaus Grenzen gesetzt. Engels' Feststellung: »Die wichtigste Eroberung der Revolution ist die Revolution selbst« wurde bestätigt. Auch eine niedergeschlagene Revolution erwies sich als Triebkraft gesellschaftlicher Vorwärtsbewegung.

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