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Verfassungsschutz nicht dicht

Staatsanwälte mussten Neonazi-Ermittlungen vor Geheimdienst verheimlichen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Polizei und Staatsanwaltschaften haben den Verfassungsschutz als Sicherheitsrisiko bei der Verfolgung von Neonazi-Strukturen eingeschätzt. Das geht aus Dokumenten der Sicherheitsbehörden hervor.

Der Innenausschuss des sächsischen Landtages lädt für heute zur Anhörung über die »Unterbindung des Wirkens von Strukturen von Blood & Honour und der Hammerskin Nation in Sachsen sowie deren Unterstützernetzwerke« ein. Bei den Neonazi-Netzwerken handelte und handelt es sich um zwei der bedeutendsten in Deutschland.

Den Antrag zur Anhörung hatte die Linksfraktion im Februar, also lange vor Einsetzung des Untersuchungsausschusses zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) gestellt. Fachleuten war bereits damals klar: Blood & Honour (B&H) ist Teil des NSU-Skandals.

Schon im September 1998 rechnete das Thüringer Landeskriminalamt Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die später als NSU-Zelle vermutlich zehn Morde sowie Anschläge und Raubüberfälle verübten, »zum harten Kern der Blood & Honour-Bewegung«.

Dass das Problem mit den beiden verflochtenen, verfassungsfeindlichen Formationen überhaupt existiert, ist zu einem Gutteil jener staatlichen Behörde zuzuschreiben, die die Verfassung auch mit dem Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel schützen soll.

Diese Erkenntnis hatten Polizei und Staatsanwaltschaft offensichtlich bereits vor Jahren, belegt das antifaschistische Leipziger Internetjournal »Gamma«. Als die Staatsanwaltschaft Halle Anfang der 2000er Jahre gegen eine B&H-Nachfolgetruppe und damit gegen 38 Verdächtige - darunter waren V-Leute sowie mindestens ein Unterstützer des NSU-Terrortrios - ermittelte, informierte sie den Verfassungsschutz bewusst nicht. Man befürchtete, dass der Dienst wieder einmal nicht »dicht hält«.

Der Befürchtung lagen negative Erfahrungen bei der Durchsetzung des Blut & Ehre-Verbots am 14. September 2000 zugrunde. Es gibt starke Indizien dafür, dass V-Leute des Verfassungsschutzes im Vorfeld informiert waren und andere Führungskader gewarnt hatten. Zumindest in Sachsen ging der erhoffte Schlag ins Leere.

Indizien für einen zu regen Austausch zwischen V-Leuten und V-Leute-Führern finden sich - obwohl von Amts wegen dementiert - auch in Brandenburg, Bayern und Thüringen.

Dafür war die Kommunikation zwischen Polizei und Verfassungsschutz - bis hinauf zum Bundeskriminalamt (BKA) und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) - seit dem B & H-Verbot nachhaltig gestört. Bis mindestens 2006 hat sich das BfV offenbar trotz mehrfacher Anfragen geweigert, dem BKA die Namen früherer B&H-Mitglieder zu übermitteln. So konnte schlecht gegen Nachfolgeorganisationen wie die »Hammerskins« ermittelt werden. Ein geplantes Verbot, der Organisation, die sich bundesweit in zahlreiche Chapter gliedert, fiel aus.

Klein geredet wurde die Gruppierung auch vom sächsischen Landesamt. Das BKA dagegen ging davon aus, dass sie mehr als 30 Mitglieder hatte und gefährlich ist. Zitat: »Ziel ist die Bildung einer ›bewaffneten Eliteeinheit‹, die Schaffung einer ›reinen Rasse‹ und ein Angriff auf die Grundsätze des Staates und seiner Einrichtungen.« Trotz dieser polizeilichen Beurteilung taucht die Truppe nicht im geheimen Abschlussbericht »Rechte Kameradschaften« vom Juli 2003 auf, der vom BfV und dem BKA erarbeitet wurde und »nd« vorliegt.

Wollte man so den V-Mann Mirko H. schützen? Der Verdacht liegt nahe, dass der Geheimdienst aus diesem Grund Erkenntnisse »radierte«. Denn auch der »Nationale Widerstand Halle/Saale«, der auf Thomas R. hörte, ist zwar vom BKA als bedeutsam festgestellt, doch in dem Bericht nicht aufgeführt.

Thomas R., so erwies sich vor wenigen Tagen, war gleichfalls »Vertrauensperson« des Verfassungsschutzes.

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