Mein Japan

  • Lesedauer: 5 Min.
Carsten Fiebeler im Gespräch über seinen neuen Film »Sushi in Suhl« und die Verwirklichung von Träumen und Freiheit in der DDR.

nd: Ihr Film »Sushi in Suhl« erzählt die Geschichte von Rolf Anschütz, der das einzige Japan-Restaurant in der DDR (»Waffenschmied«) geführt hat. Wie ist ihm das gelungen in einer Wirtschaft, in der man den Wasabi nicht mal eben aus dem Supermarkt holen konnte?
Fiebeler: Anschütz hat zunächst erst einmal improvisiert. Am Anfang hat er mit regionalen Zutaten wie Fisch, Kartoffeln, Zuckerrüben und Kohl versucht japanisch zu kochen. Später wurde er mit originalen Zutaten aus Düsseldorf und Japan beliefert.

Hatte Rolf Anschütz Unterstützung?
Der »Waffenschmied« gehörte erst seiner Familie und wurde später von der HO übernommen. Die HO war von seinen Plänen, japanische Küche anzubieten am Anfang gar nicht begeistert, da befürchtet wurde, dies könne bei den Bürgern Begehrlichkeiten wecken.

Auf der anderen Seite war die DDR aus wirtschaftlichen Gründen daran interessiert, bilaterale Beziehungen zu Japan aufzubauen. Bis dato hatten die Verantwortlichen dort keinen Fuß hinein bekommen. In Berlin hat man erkannt, dass ein Restaurant mit japanischer Küche ein Weg sein könnte, sich den Japanern zu öffnen und Anschütz unterstützt. Das hat dann ja auch funktioniert. So bekam der »Waffenschmied« auch eine politische Dimension.

War Rolf Anschütz sich dieser politischen Dimension bewusst?
Ich glaube, das war erst mal egal. Es ging Anschütz um Kultur, vor allem um die Esskultur. Er wollte seine Besucher mit auf eine kulinarische Reise nehmen und sein Wissen über die japanische Kultur weitergeben.

Hat er sich instrumentalisieren lassen?
Nein, ich denke, nicht wirklich. Die Frage ist eher, und das wird er gewusst haben, dass im Osten viele Leistungen nicht ohne Gegenleistung zu haben waren, schon gar nicht in der Gastronomie. Ich denke, er ist für die Erfüllung seines Traumes Kompromisse eingegangen. Aber ich würde nicht behaupten, dass er sich im klassischen Sinne hat instrumentalisieren lassen.

Auf der Webseite zum Film schreiben Sie: »... Am Ende musste er erkennen, dass er sich und seine Familie nur selbst belogen hatte...« Was heißt das?
Anschütz war ein Individualist. Und wie alle Menschen, die einen Traum verwirklichen möchten, musste er dafür Federn lassen. Er war so fixiert auf seinen Japan-Traum, dass er nicht bemerkt hat, wie ihm seine Familie und seine Freunde verloren gehen.

Wie echt war das Japan, das Anschütz sich geschaffen hatte?
Es war eine Art Phantasie Japan. Im »Waffenschmied« gab es ein Fugo-Bad, eine rituelle Waschung vor dem Essen, die selbst in Japan nur sehr noch selten und nur in speziellen Läden praktiziert wird. Sein Wissen über Japan war aus historischen Vorlagen angelesen und hatte wenig mit dem realen Japan zu tun. Oder wie er es so schön im Film ausdrückt: er hat sein Japan geschaffen.

Ein Japan in der DDR?
Genau. Als DDR-Bürger hatte er keine Möglichkeit, nach Japan zu reisen oder sich über andere Medien, wie Filme einen Überblick zu verschaffen, wie es dort läuft. Aber er besaß ein in der DDR verlegtes Kochbuch, in dem auch japanische Rezepte enthalten waren. Die restliche Literatur stammte aus einem anderen Jahrhundert.

Als er dann plötzlich als Staatsgast nach Japan eingeladen wurde, hat ihn die Wirklichkeit schon ein bisschen geschockt. Er hat sich das Land viel traditioneller vorgestellt. Ich vermute, er hatte einen mächtigen Kulturschock. Die Menschenmassen, die Schnelligkeit, die Sprache, die Modernität und auf der anderen Seite eine Jahrhunderte alte Tradition, die bis heute in der japanischen Gesellschaft tief verwurzelt ist. All das bekam er nicht mit seinem Bild zusammen.

Es scheint, dass Anschütz, obwohl DDR-Bürger, eine relativ große Freiheit hatte.
Er hat sich die Freiheit genommen. Auch im Osten gab es an vielen Ecken eine gewisse Freiheit. Man musste nur den Mut haben, sie sich zu nehmen. Wenn bestimmte Grenzen nicht überschritten wurden, konnte man damit auch eine ganze Weile sogar recht erfolgreich leben, wie Anschütz Beispiel zeigt.

Wo hat man diese Freiheiten in der DDR gefunden?
Fast in jeder Art von Kultur und Kunst, auch im privaten Handwerk. Natürlich gab es immer auch Repressionen, viele Einschränkungen. Aber die Staatsmacht hat auch weg gesehen. So konnte man Nischen finden. Ich hatte damals mit der sogenannten »Nähmafia« zu tun und die zum Beispiel Mickey Maus T-Shirts herstellte und teuer verkauft. Da füllten einige Clevere eine Art Vakuum oder lebten in der DDR in einer Art Parallelgesellschaft. Und die Staatsmacht sah zu. Das hat für eine gewisse Zeit auch funktioniert!.

Ist Anschütz ein Beispiel für die Improvisationsfähigkeit der DDR-Bürger und deren Kreativität?
Ja. Mangel generiert Improvisationsfähigkeit. Es hieß, man brauchte als DDR-Bürger mindestens drei Handwerksberufe, um durchs Leben zu kommen. Im Osten wurde Improvisation und Individualismus von staatlicher Seite nicht gern gesehen. Aber die DDR war nicht in der Lage, das zu unterbinden. Ihr Überleben hing zum Teil sogar davon ab.

Finden Sie, dass Filme heutzutage die DDR zu sehr ins Skurrile ziehen?
Oft werden die Geschichten mit DDR Kontext ins Lächerliche oder Dramatische gezogen. Da gibt es dann meist Opfer- oder Täterfilme, Nichts dazwischen. Das spiegelt einfach nicht die Realität wider. »Sushi in Suhl« ist da anders. Wie Uwe Steimle so schön sagt, ein Film über die DDR ohne Stacheldraht und Stasi. Aber für mich ist die Geschichte gar keine Ostgeschichte. Sie hat universellen Charakter. Sie handelt von einem Individualisten, der versucht seinen Traum gegen alle Widerstände zu leben. Und diese Art von Geschichten passieren überall auf der Welt, zu jeder Zeit.

Was sind Ihre nächsten Projekte?
Ich habe zwei Krimis abgedreht und arbeite derzeit an einer Dokumentation über den Sommer 1988 in der DDR. Es geht da um eine Art Frühling in der DDR-Musik-Kultur. Plötzlich konnten Bands wie Depeche Mode, Joe Cocker und Bruce Springsteen in Berlin spielen.

Letzte Frage: Sushi oder Klöße?
Im Winter eher Klöße, im Sommer eher Sushi.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Katja Eichholz.

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