»Ach, nähme Sturm die Welt ...«

Obama und »Sandy«

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Bitte an dich, Wirklichkeit: nur keine Helden! Selbst präsidiale nicht. Jeder Thron ist doch auch nur ein Platz, den ein Berufener einnehmen darf, um, ja: wie jeder andere Mensch zu verwittern. Barack Obama möge siegen in den USA, klar. Es gibt sogar schon Steinfiguren von ihm, im öffentlichen Raum. Stoff ist das für ungenaue Augen, denen Starre anscheinend Heldentum beweist. Leute aber, lebendige Leute, die sind doch nichts als Bewegung, die sind unterwegs durch Zweifel, und gute Politiker erleben sich so als Diskontinuität: Sie wissen am Ende mehr als Anfang. Das macht müde. Müdigkeit in Politikergesichtern ist eine Hoffnung. Obama sieht derzeit sehr müde aus.

Müdes Aussehen passt zur aktuellen Lage und Pflicht. »Ach, nähme Sturm die Welt in seine Arme, bis ich sie hilferufend hören und aus der Not befreien darf.« Shakespeare. So also ist der Mensch: vergewaltigt fortwährend die Natur, ruft sie aber gern an, wenn ihn Rettungsbedürfnisse ankommen. Obama hat den Sturm »Sandy« nicht gerufen, aber wie gerufen kam er durchaus. Naturkatastrophen zwingen Politiker zu ungeplanten Wirklichkeitsberührungen, plötzlich gelten sie als »Krisenmanager«, nur weil sie in Gummistiefel gesteckt werden. Im gewöhnlich pegelruhigen Leben ist das Arbeiten am Positivbild eines Politikers der blanke falsche Legenden-Rotz. Läppisch. Jede bessere Schnecke zieht so eine glänzende Spur. Bloß, sie rechnet, weil ohne Wetterbewusstsein, nicht mit Regen. Wahlkämpfe dagegen: ein Muster, das mit Regen rechnet. Und »Sandy« kam also.

Obama ist jetzt, was Helmut Schmidt einst in Hamburgs Sturmflut war - der Lotse vom Schreibtisch. Schröder siegte nach der Elbeflut 2002, und Matthias Platzeck wurde angesichts von Sturmfluten zum brandenburgischen Deichgrafen, der noch heute einen Großteil seiner Popularität dem bannenden Blick auf haltsichere Sandsäcke verdankt.

Als Roland Emmerichs Apokalypse-Thriller »The Day After Tomorrow« vor Jahren in den Kinos lief, wehrte sich New Yorks Politik gegen »den Missbrauch eines intakten Stadtuniversums für Untergangsszenarien«. Jetzt liegt New York, noch immer, partiell im Dunklen. Bürgermeister Bloomberg votet für Obama. Denn der sei Antagonist des Klimawandels. Seltsam: Sind Menschen durch Naturkatastrophen am Tiefpunkt ihrer Existenz angelangt, greifen sie aus natürlichem Reflex just zu dem, worauf jede Politik ihre sonst so anrüchige Taktik errichtet: Es ist der Glaube an heftige, hochheilige Versprechen aus dem Munde besagter »Krisenmanager«. Obama verspricht zur Zeit viel, es ist die Zeit dafür.

Er werde eine Novelle schreiben, so Kleist, darin die Hoffnung auf eine bessere Welt »so ganz aus dem Erschrecken wächst, das nur die wilde, ungebärdig grausame Natur in uns pflanzen kann«. Und wo dann das Wort einer »helfenden Instanz« schon Wunder bewirke, wo »doch aber gar keines abzusehen« ist.

Heute ist Wahltag in den USA. Heute wird an der Ostküste ein weiterer Sturm erwartet.

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