Angriff auf das verlogene »Wir«

Freerk Huisken über das Elend der Kritik am Neofaschismus

  • Ulrich Irion
  • Lesedauer: 3 Min.

Nachdem Ende 2011 in Deutschland - angeblich völlig überraschend - der »braune Terror« entdeckt und staatsoffiziell zum Problem gemacht wurde, setzte hektische Betriebsamkeit ein. Es kam zu Trauerfeiern, zu öffentlichen Erklärungen und schließlich zur Einrichtung diverser Untersuchungsausschüsse, die jetzt großspurig Aufklärung versprechen. Viele Kommentatoren bezweifelten, ob so tatsächlich Licht ins Dunkel des NS-Untergrunds und in die »Pannenserie« staatlicher Stellen gebracht werde. Aber es fragt sich, ob hierzulande überhaupt eine ernsthafte Kritik (neo-)faschistischer Umtriebe erwünscht ist und zur Kenntnis genommen wird. Freerk Huisken, emeritierter Professor der Universität Bremen, kommt zu dem Ergebnis, dass Demokraten den Faschismus zwar verbieten, aber nicht angemessen kritisieren können.

Der Autor bilanziert in seinem neuen Buch seine vielfältigen Bemühungen um öffentliche Kritik am Neofaschismus, die er vor 25 Jahren mit einer Streitschrift »gegen den geächteten wie den geachteten Rassismus« (»Ausländerfeinde und Ausländerfreunde«, 1987) begann und unermüdlich fortsetzte und fortsetzt. Denn es gilt nach wie vor: »Der demokratische Schoß ist fruchtbar …« Die rechte Gefahr ist in keiner Weise gebannt, und alle Zweifel am offiziell verkündeten energischen Kampf gegen Rechts werden wieder mal bestätigt.

Huiskens Buchtitel greift Brechts berühmte Warnung auf, lässt aber das Wörtchen »noch« bewusst weg und ergänzt sie um ein Wort. Denn im demokratisch verfassten Nationalstaat - und nicht in noch unbewältigten Rückständen des Hitlerregimes - liege die Möglichkeit eines Übergang zu einer radikalisierten bürgerlichen Herrschaftsform begründet. Huisken wendet sich damit gegen jene Aktivitäten, die auf der Grundlage eines demokratisch achtbaren Nationalismus (alias Patriotismus) dem aggressiven, völkischen Nationalismus des rechten Randes entgegenzutreten versuchen. Hier zeige sich das ganze Elend der landläufigen Faschismuskritik. Es werde versucht, durch Ausgrenzung und Repression eine Differenz zu beschwören, wo faktisch ein Zusammenhang bestünde: »Der Faschist ist nichts anderes als der aus dem Untertanengeist geborene radikalisierte Vertreter erfolgreicher starker Staatsmacht.«

Diesem Zusammenhang ist der Hauptteil des Buches gewidmet. Der historische Faschismus, das NS-Regime, wird als eine Variante des Programms analysiert, »Volkseinheit« und »Volksreinheit« unter Bedingungen kapitalistischer Gesellschaften zu deklarieren. Huisken beschäftigt sich auch ausführlich mit den modernen Formen dieser Herrschaftsvariante, die in Antifa-Kreisen regelmäßig für Irritationen sorgen. Das Schlusskapitel - »Wie man nationalistische und (neo-)faschistische Urteile und Parolen kritisieren sollte und wie besser nicht« - thematisiert die Argumentation der neofaschistischen Szene und deren Widerlegung.

Wichtig sei es, betont Huisken, sich nicht von der nationalen Sorge um den Zustand »unseres« Landes vereinnahmen zu lassen. Das Fazit des Buchs lautet: Jeglicher Nationalismus ist als eine Hauptursache von Rechtsextremismus zu demaskieren. In einem Interview sagte er kurz und prägnant: »Der Angriff auf das ›Wir‹ ist fällig.«

Freerk Huisken: Der demokratische Schoß ist fruchtbar … Das Elend der Kritik am (Neo-)Faschismus. VSA-Verlag, Hamburg 2012. 232 S., br., 14,80 €.

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