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Verbotenes neu zu entdecken

nd-club: »columbus 64«

  • F.-B. Habel
  • Lesedauer: 3 Min.

In der Saison 1965/66 gab es in der DDR zwei große Filmprojekte zum Arbeiterthema, die aktuelle politische und moralische Fragen berührten. Bei der DEFA verfilmte Frank Beyer Erik Neutschs Bestseller »Spur der Steine« über eine Baubrigade. Für den Fernsehfunk hatte Ulrich Thein nach eigenen Recherchen in der Wismut den Mehrteiler »columbus 64« geschrieben und selbst inszeniert. Während »Spur der Steine« heute zu den DEFA-»Klassikern« zählt, ist »columbus 64« zu Unrecht vergessen.

Theins Prinzip war es, Laien und Profi-Schauspieler zusammenzuführen, um einen größeren Realismus zu erzielen. Der Arbeitsdirektor der SAG Wismut, ZK-Mitglied Sepp Wenig, spielte sich selbst in einer Hauptrolle und viele Kumpels traten in kleineren Parts auf. Der Maler Otto Niemeyer-Holstein hatte ebenso seinen Auftritt wie der Liedermacher Wolf Biermann, der u.a. sein bekanntes Lied »Was verboten ist, das macht uns grade scharf« sang.

Biermann hatte auch für »Spur der Steine« ein Lied geschrieben. Das missfiel der DEFA-Leitung aber, so dass Beyer dafür das bekannte »Warte nicht auf bessre Zeiten« einsetzen wollte. Das aber ging nach dem 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 auch nicht mehr. Damals wurden angeblich zu liberale Tendenzen in der Kulturpolitik der DDR kritisiert, kritische Geister wie Stefan Heym, Robert Havemann und Wolf Biermann mit Veröffentlichungsverbot belegt und fast die gesamte Jahresproduktion der DEFA in die hintersten Schränke des Archivs verbannt.

Auch in »columbus 64« wurde ein zu wenig schmeichelhaftes Bild der Arbeiterklasse mit Alkohol und Schlägereien gezeichnet, aber nach zahlreichen Änderungen konnte der Vierteiler im Vorfeld des Republikgeburtstags 1966 einmalig gesendet werden (allerdings ohne Biermann und Niemeyer-Holstein). Nach bestellten kritischen Zuschauerbriefen wurde der Film dann dem Vergessen überlassen. Es ist dem Kulturhistoriker Paul Werner Wagner zu danken, dass er diesen Film wiederentdeckte und seine Edition in der Reihe »DDR-TV Archiv« initiierte. Gemeinsam mit dem Kameramann Hartwig Strobel, der zwei Jahrzehnte lang eng mit dem inzwischen verstorbenen Ulrich Thein zusammengearbeitet hatte, stellte Wagner den Film in der Reihe »nd im Club« am Mittwoch in Ausschnitten vor. Die Geschichte, in der ein durchschnittlicher Autor im Zeichen des »Bitterfelder Wegs« (der die Zusammenarbeit von Künstlern und Arbeitern propagierte) Karriere machen will, indem er mit Wismut-Kumpeln zusammenarbeitet, ist spannend, erzählt viel über die DDR jener Jahre und ist von hervorragenden Schauspielern gestaltet. Neben dem überragenden Armin Mueller-Stahl können wir u.a. Teri Tordai (die bald darauf im Westen als »Wirtin von der Lahn« zu zweifelhafter Berühmtheit kommen sollte), Otmar Richter, Günter Grabbert, Lissy Tempelhof und die äußerst begabte Margitta Hellmann, die damals im Arbeitertheater des VEB Stern-Radio spielte, wiedersehen.

Die DVD ist im »nd-shop« erhältlich, Tel.: (030) 29 781 654

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