Palästina und der Traum vom eigenen Pass

Nach dem überwältigenden Abstimmungserfolg in der UNO kommt es nun auf die Übersetzung in praxistaugliche Resultate an

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.
Palästina ist jetzt ein Staat, jedenfalls bei den Vereinten Nationen. Mit großer Mehrheit haben ihm die UNO-Mitgliedsländer den Status eines Beobachterstaats verliehen - ein Schritt, der theoretisch Folgen für den Alltag haben kann. Doch in Ramallah hat man sich noch nicht entschieden, ob man das auch umsetzen will.

»Doch, ja«, heißt es im palästinensischen Innenministerium in Ramallah. »Vielleicht«, sagen die Leute im Büro von Premierminister Salam Fajad. »Alles zu seiner Zeit«, heißt es im Umfeld von Präsident Mahmud Abbas, oder andersherum gesagt: Es herrscht Ratlosigkeit in Verwaltung und Politik, während in der Stadt am Morgen nach dem Votum Tausende feiern. Sie bejubeln, dass Palästina sich bei den Vereinten Nationen nun Staat nennen darf.

Werden sie künftig mit Pässen nach Frankreich, Spanien, Russland reisen können, die in der Nacht zuvor für den Staat Palästina gestimmt haben? Sprecher der dortigen Außenministerien sagen, dass man nun Pässe anerkennen würde, auf denen Palästina statt »The Palestinian Authority« steht - wenn die palästinensische Regierung sich dazu entscheidet, sie auszugeben.

Ja, es sind nur Pässe, und, ja, die allerwenigsten Palästinenser können sich in einer Zeit, in der die Arbeitslosigkeit ebenso wie die Armut täglich neue Höchststände erreicht, eine Auslandsreise leisten. Doch der Pass, dieses kleine grüne Buch mit dem palästinensischen Nationaladler vorne drauf, war für viele Menschen ein Symbol für die durch die Osloer Verträge Anfang der 90er Jahre geschaffenen Autonomie, eines, auf dem die palästinensischen Verhandler damals bestanden und das die Gespräche fast zum Scheitern gebracht hätte. Und er ist ein Symbol geblieben.

Doch die Regierung ist sich noch nicht sicher, auch wenn das Innenministerium in der ersten Euphorie erklärte, dass das nun geschehen werde: »Wir müssten dafür einen Bestandteil der Osloer Verträge aufkündigen«, sagt ein Mitarbeiter von Präsident Abbas. Und da müsse man ganz genau darauf achten, ob das nicht kontraproduktiv sei - immerhin hänge ja auch das Steuerabkommen mit Israel daran.

Was am Tag nach der Abstimmung eine ausgesprochen wirre Situation erzeugt: Offiziell betrachtet Israels Regierung, aber auch die Vereinigten Staaten, die Osloer Übereinkünfte nun als Makulatur. Begründung: Die Palästinenser hätten mit ihrem Antrag einem Verhandlungsergebnis über den endgültigen Status vorgegriffen, wie es in den Übereinkünften vorgesehen ist. Doch hinter den Kulissen hatten sich beide Seiten bereits vor Wochen darauf geeinigt, die praktischen Teile der Vereinbarungen weiterlaufen zu lassen, so lange nicht eine Seite offiziell daran rührt. Neue Pässe, heißt es übereinstimmend in Ramallah und Jerusalem, wären ein solcher Schritt.

Überhaupt: Trotz der martialischen Töne und Vorwürfe an die Palästinenser, die der Vertreter Israels in der Nacht zum Freitag sprach, ist in Jerusalem heute so etwas wie Erleichterung zu verspüren. Aus gutem Grunde: Die sich zuspitzende soziale Lage, die chronische Finanzkrise, aber auch der Gaza-Krieg, aus dem die Hamas gestärkt hervorgegangen ist, bereiten Verwaltung und Politik einige Sorgen. Man hoffe darauf, dass die Palästinenser nun hurtig einen Antrag auf Zuwendungen des Internationalen Währungsfonds stellen werden, sagt ein Sprecher des israelischen Finanzministeriums - bislang war das nicht möglich, weil Palästina nicht als Staat galt. Aber der palästinensische Pass wird wohl vorerst ein Traum bleiben.


138:9

Palästina wurde am Donnerstag in der UNO-Vollversammlung zum Beobachterstaat aufgewertet. 138 der 193 Staaten stimmten dafür - das sind die anderen:

Gegenstimmen (9): Israel, Kanada, Palau, Panama, Nauru, Mikronesien, Marshallinseln, Tschechien, USA.

Enthaltungen (41): Albanien, Andorra, Australien, Bahamas, Barbados, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Deutschland, Estland, Fidschi, Großbritannien, Guatemala, Haiti, Kamerun, Kolumbien, DR Kongo, Kroatien, Lettland, Litauen, Malawi, Mazedonien, Moldau, Monaco, Mongolei, Montenegro, Niederlande, Papua-Neuguinea, Paraguay, Polen, Ruanda, Rumänien, Samoa, San Marino, Singapur, Slowakei, Slowenien, Südkorea, Togo, Tonga, Ungarn, Vanuatu

Abwesend (5): Äquatorialguinea, Kiribati, Liberia, Madagaskar, Ukraine

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