Wimpernklimpern

»Happy Birthday, Mr. President« - eine Welturaufführung im Volkstheater Rostock

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 5 Min.

Als Opernsängerin hat man Marilyn Monroe bisher nicht gesehen. Am Sonntag konnte man sie singen hören im Großen Haus des Volkstheaters Rostock, einem schlichten, beinahe minimalistischen DDR-Bauwerk in Bauhaus-Tradition, dem erfreulicherweise jeder architektonische Protz abgeht und dessen Retro-Charme heute auch auf auswärtige Besucher einen gewissen Reiz ausübt. Die Bausubstanz des Hauses mag zwar marode sein. Genauso ärgerlich jedoch ist, dass bei Sanierungsmaßnahmen achtlos die Spuren des DDR-Designs nach und nach getilgt werden.

Einige Rostocker, so eine Besucherin des Theaters, fänden den Bau wenig repräsentativ und kämen daher nicht gern hierher. Vielleicht sollte man ihnen mitteilen, dass die repräsentativen Bauwerke schlimmer aussehen.

Im Volkstheater, das bis vor Kurzem von der Insolvenz bedroht war und dessen Zukunft ungesichert bleibt, kann man sie nun erleben: die Mimik und Gestik der legendären US-Schauspielerin Monroe, die von der britischen Sopranistin Laura Parfitt auf verblüffende Weise wiedergegeben wird. Man sieht sie lachen und dabei den Kopf nach hinten werfen, in Paillettenkleid und pinkfarbener Abendrobe umhertänzeln.

Dabei sind das Wimpernklimpern, das gezielte Overacting, der Schlafzimmerblick, der Kussmund und der kokette Augenaufschlag weit davon entfernt, als Parodie missverstanden zu werden. Parfitt zitiert im Rahmen ihrer Rolle ausschließlich die öffentlichen und ikonisch gewordenen Bilder, die es von Monroe gibt, und verlebendigt so eine Person, die schon längst als reine kulturindustrielle Kunstfigur in die Geschichte der Pop Art eingeschrieben schien.

Seit über drei Jahren gab es keine Uraufführung mehr im Volkstheater. Am vergangenen Sonntag fand in der Hansestadt nun die Welturaufführung der modernen Oper »Happy Birthday, Mr. President« statt, in der es, ganz klassisch, um Macht, Liebe, Verrat und Intrigen geht: eine Fiktion über das bis heute nicht völlig enträtselte Verhältnis zwischen dem rücksichtslos seine Interessen verfolgenden US-Präsidenten John F. Kennedy und der zwischen Selbstzweifeln und Selbstinszenierung hin- und herschwankenden Marilyn Monroe, die nach Liebe und Anerkennung sucht.

Insbesondere was die musikalische Substanz angeht, ist man hier neue Wege gegangen und hat sich an einer Verschmelzung von Moderne und Bewährtem, von US-amerikanischer Musicaltradition und klassischer Oper versucht. Weder wollte man offenbar einem kulturkonservativem Bürgertum rührenden Opernkitsch servieren, den es zur Genüge kennt, noch beabsichtigte man, es mit Neutönern zu überfordern: Einige der musikalischen Leitmotive zitieren erkennbar Filmmusiken US-amerikanischer Kriminalfilme und Melodramen der fünfziger und sechziger Jahre: Bossa-Nova-Takte sind zu hören, Melodiefolgen, die an Filmscores des vom Jazz beeinflussten Lalo Schifrin und an Musicals des US-Amerikaners Leonard Bernstein erinnern.

Der britische Komponist Kriss Russman hat, wie er sagt, seine Oper 500 Mal an Theater in der ganzen Welt verschickt. Der musikalische Leiter des Rostocker Volkstheaters, Peter Leonard, der ihm schließlich eine Inszenierung zusagte, spricht vom »sinnlich-schwelgerischen Gestus« der Musik. Ihm zufolge hat das Theater die vorrangige Aufgabe, »neben bekannten und beliebten Stücken auch Neues vorzustellen«. Gleichzeitig aber, so der Regisseur Albert Sherman, ginge es darum, den Zuhörer und Zuschauer nicht mit allzu experimentellen Klängen zu verschrecken, ihm ein »unmittelbares affektives Verständnis« der Musik zu ermöglichen. Dass dies gelungen ist, zeigte das vom Premierenabend begeisterte Publikum mit minutenlangem Beifall.

Hinter den Kulissen schwelt schon lange eine dauerhafte Auseinandersetzung zwischen der Rostocker Bürgerschaft, die sich mehrfach einstimmig für eine Rettung des Hauses ausgesprochen hat, und Rostocks parteilosem Oberbürgermeister Wolfgang Methling, der auf seine Art versucht, den strikten Sparvorgaben der Landesregierung nachzukommen, und auf eine Fusion der Rostocker Theater mit dem Theater Schwerin hinarbeitet.

»Zumindest regnet's nicht mehr rein wie früher«, sagt die Premierenbesucherin Sybille Burmeister, die mit ihrer zwölfjährigen Tochter regelmäßig ins Theater geht. »Das ist jetzt repariert.« Der Bürgermeister, meint sie, sei am kulturellen Leben in der Stadt nie wirklich interessiert gewesen, sondern wolle Rostock hauptsächlich als Technologie- und Wirtschaftsstandort etablieren.

Obwohl die Insolvenz vorerst abgewendet ist, hält der Geschäftsführer des Hauses, Stefan Rosinski, langfristig Kürzungen und Personalentlassungen für möglich, wie er dem »nd« am Premierenabend mitteilte: »Der Bürgermeister entscheidet nicht über das Geld direkt. Er legt zwar einen Haushaltsentwurf vor für die Stadt, aber letztendlich muss die Bürgerschaft darüber abstimmen.« Und diese hat bereits entschieden: »Sie will dieses Theater auch für die nächsten Jahre so haben«, erklärt Liane Melzer (SPD), die Kultursenatorin. »Das Problem, das hier entsteht, ist, dass der Oberbürgermeister Beschlüssen der Bürgerschaft zum Theater widersprochen hat mit Hinweis auf den nicht ausgeglichenen Haushalt. Das löst aber das Theaterproblem nicht. Das eine ist die Haushaltssituation, das andere ist die Situation des Theaters«, so Rosinski. Das Land stelle sich seit 1994 »stur auf den Standpunkt, dass es für die Theater in Mecklenburg-Vorpommern nicht mehr Geld gibt«. Das führe zwangsläufig zu Kostendruck, Personalabbau und einer Einschränkung des Angebotes. »Man schrumpft das Theater immer mehr zusammen. Am Ende kommt es in der Gesellschaft nicht mehr vor. Nicht jeder Mensch ist kulturaffin. Aber man sollte verstehen, dass das Theater einen wichtigen Stellenwert hat in einer Stadt.« Davon überzeugt werden muss nicht nur der Bürgermeister. In der Stadtbahn antwortet eine alte Dame auf die Frage, wie ihr die Aufführung gefallen habe: »Ich hätte lieber ein paar klassische Arien gehört.«

Nächste Vorstellung: 1.2.

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