Kein Polster für den Ökostrom

Vogtländische Textilfirma klagt gegen Kosten der Energiewende

  • Hendrik Lasch, Treuen
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Energiewende kostet viel Geld. Zahlen müssen auch Firmen - aber längst nicht alle. Ein Unternehmer aus dem Vogtland zog daher vor Gericht. Auf dem Spiel steht die Umlage aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG).

Der Backofen ist 25 Meter lang und wird so heiß, dass er auch Pizzen knusprig bräunen könnte. Gut 200 Grad herrschen in dem Blechkasten, in dem freilich kein Teig gebacken wird, sondern Wachstuch. Der Begriff ist etwas aus der Mode gekommen, und das Material wird nicht mehr nur über Küchentische gebreitet, sondern findet sich auch auf Autositzen, Massageliegen und in Schutzjacken der Feuerwehr. Noch immer aber besteht es aus etlichen Schichten Kunststoff, die dünn auf ein Papier gestrichen, dann gebacken und abgeschreckt werden - dreimal hintereinander.

Das Erwärmen und das rapide Abkühlen benötigt Energie - »viel Energie«, wie Gregor Götz betont. Gemeinsam mit seinem Vater führt er die Firma Vowalon Beschichtung GmbH in Treuen im Vogtland, die demnächst 113 Jahre alt wird und ihren Namen von einer einst hier produzierten DDR-Marke für Wachstuch ableitet. Übermäßig bekannt war die Firma bis zum Sommer 2012 nicht, obwohl ihre zu Polstern geschäumten, geprägten und bedruckten Produkte in bayrischen Edelspritschluckern ebenso zu finden sind wie auf den Hockern eines großen Bulettenbraters. Mit 183 Beschäftigten gehört der Betrieb zudem zu den größten in der Textilbranche Ostdeutschlands. Doch ins Rampenlicht drängten Firmenchef Götz und sein Vater, der das Werk zusammen mit einer Ex-Kollegin aus VEB-Zeiten herüberrettete, nicht. Auf die Vielfalt der Produkte und Kunden ist man im Vogtland zwar stolz. Aber, betont Götz: »Wir sind ein Nischenproduzent.«

Mit der Randexistenz ist es indes seit einem Dreivierteljahr vorbei. Im Juni 2012 reichte Vowalon beim Landgericht Chemnitz Klage ein, die sich formal gegen einen dortigen Energieversorger richtet, im Kern aber gegen einen Pfeiler der deutschen Energiewende: die Umlage zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Seither berichten Nachrichtenmagazine aus Treuen; von den »Stromrebellen aus dem Vogtland« ist die Rede. Man hätte so etwas ahnen können: Als Wappentier führt Vowalon im Firmenlogo schließlich einen Löwen.

Götz ist seither genötigt, einiges zu erklären. »Wir wollen nicht als Gegner der Energiewende verstanden werden«, betont er: »Wir wollen nicht zurück zur Atomkraft.« Er will aber auch nicht satte zehn Prozent der Wertschöpfung seines Unternehmens allein für Strom ausgeben müssen. Auf 1,6 Millionen Euro belief sich die Rechnung 2011, davon allein 180 000 Euro für die EEG-Umlage. Das war, bevor diese Anfang 2013 von 3,6 auf 5,2 Cent je Kilowattstunde stieg. Nun zahlt Götz' Firma noch 90 000 Euro mehr.

Ob die Umlage derart hoch sein muss, ist heiß umstritten. Nötig ist sie, weil den Erbauern von Windrädern oder Solarparks als Anreiz für ihre Investition ein Abnahmepreis für den erzeugten Strom garantiert wird, der höher ist als der Marktpreis. Die Differenz wird aus der Umlage bestritten. Der kräftige Anstieg ist zum einen darin begründet, dass immer mehr solcher Anlagen entstehen; zum anderen darin, dass die Strompreise an der Börse sinken - nicht zuletzt dank des wachsenden Anteils von Ökostrom, der an manchen Tagen schon über ein Fünftel des deutschen Strombedarfs deckt.

Was Götz freilich stört, ist zum einen eine Ungerechtigkeit: Immer mehr als »energieintensiv« eingestufte Betriebe werden von der Umlage befreit, von Stahlhütten bis zu »Pommesbuden«, wie grüne Politiker ätzen. Sie merken an, die Umlage könnte einen Cent niedriger sein, wenn Ausnahmen reduziert würden. Ein Maßnahmepaket, das die Bundesminister für Umwelt und für Wirtschaft vorgelegt haben, sieht eine etwas strengere Auslese vor.

Vowalon freilich kann bisher nicht von Ausnahmeregeln profitieren - obwohl sechs der Wachstuch-Backöfen und weitere Strom schluckende Anlagen betrieben werden. Zwar liegt der Betrieb mit einem Jahresverbrauch von fünf Millionen Kilowattstunden um das Vierfache über dem Grenzwert. Doch die Stromkosten verschlingen »nur« 10 Prozent der Wertschöpfung und nicht 13 Prozent, wie für eine Freistellung nötig wäre. Dafür, sagt Götz, erledige man zu viele Arbeitsgänge im eigenen Betrieb - vom Mixen der Rohpaste aus PVC oder Polyurethan bis zur Konfektionierung der fertigen Beschichtungsmaterialien. »Auf dieses Geschäftsmodell sind wir stolz«, sagt er. Der Preis ist, dass Vowalon zahlen muss - dank der Grenzwerte, die »willkürlich« seien.

Für Ärger und Unannehmlichkeiten sorgt daneben ein zweiter Fakt: fehlende Planbarkeit. »Wir wissen nicht, wie hoch die Umlage im nächsten Jahr sein wird«, sagt Götz. Deren Höhe wird aufgrund einer Prognose der vier Netzbetreiber festgelegt - nach dem 15. Oktober eines Jahres. Unternehmen wie Vowalon indes können nicht erst auf den letzten Drücker ihre Preise mit den Kunden aushandeln, und sie können sich nicht auf vage Ankündigungen wie die von Umweltminister Peter Altmaier (CDU) verlassen, wonach die EEG-Umlage in den nächsten beiden Jahren nicht und danach nur moderat steigen soll: »Garantieren kann uns das bislang keiner«, sagt Götz.

Die Sicherheit, die von der Politik nicht kommt, soll deshalb also ein Gericht geben - wenn möglich das höchste in Deutschland: das Bundesverfassungsgericht. Es soll die EEG-Umlage für verfassungswidrig erklären, so wie 1994 den Kohlepfennig. Dieser wurde als unzulässige Subventionierung des Steinkohlebergbaus gesehen. Mit der EEG-Umlage, argumentiert der Jurist Gerrit Manssen aus Würzburg, verhält es sich nicht anders.

Manssens Gutachten ist Basis für die Klage von Vowalon sowie von zwei weiteren Textilbetrieben aus Bayern und Baden-Württemberg, die vom Gesamtverband Textil + Mode beispielhaft durchgefochten werden. Alle drei Betriebe klagen gegen die Stromlieferanten auf Rückzahlung der Umlage für einen Monat. Die Textilveredlung Selb hat als erste ein Urteil erfochten - freilich nicht zur Zufriedenheit: Die Firma unterlag in erster Instanz und muss jetzt zum Oberlandesgericht ziehen.

Im Fall einer Spinnweberei aus Uhingen jedoch deutet sich »eine Sensation« an, wie Götz sagt: Das Landgericht Stuttgart könnte dort bei der morgigen Verhandlung die Klage wegen der grundsätzlichen Bedeutung direkt nach Karlsruhe verweisen. Der jahrelange Gang durch die Instanzen würde damit entfallen. Weil es solche Signale gab, ist Götz' eigene Klage in der Warteschleife: Nach einer ersten Sitzung am 29. Februar wurde die Urteilsverkündung auf den 22. März festgesetzt. Ein gutes Zeichen, glaubt Götz: »Eine Ablehnung hätten wir sofort erhalten können.« Sein Eindruck ist, dass auch die Chemnitzer Richterin eine direkte Vorlage nach Karlsruhe nicht ausschließt.

Vielleicht klären sich manche Probleme von Unternehmern wie Götz schon vorher. Das hat ihm jedenfalls Wirtschaftsminister Philipp Rösler versprochen, als er im Dezember die Firma besuchte. Der FDP-Chef kündigte an, die Politik werde schneller sein als die Justiz und das Erneuerbare-Energien-Gesetz überarbeiten. Jetzt ist es so weit. Vorige Woche legten Rösler und Altmaier Vorschläge vor, die Ökostrombefürworter entsetzen. Die Deutsche Umwelthilfe erklärte, die Energiewende werde in den »regierungsamtlich verfügten Winterschlaf« geschickt.

Treuen ist von Berlin und den dortigen Machtkämpfen weit entfernt. Götz ahnt vermutlich höchstens, wer dort seine Klage als Argument ins Feld führt. Was er weiß: Viele Firmenchefs klingeln an und fragen, ob sie mitklagen können. Können und sollen sie nicht, sagt Götz. Sie können aber eine Lehre ziehen aus dem Aufstand der Stromrebellen aus dem Vogtland. »Wenn keiner aufsteht, bewegt sich nichts«, sagt Götz. Er ist aufgestanden. Und schon drehen sich sogar Minister.

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