Frischer Wind durch Spartengewerkschaften

Erfolgreiche Tarifkämpfe von Lokführern, Ärzten und Flugbegleitern haben die DGB-Organisationen unter Druck gesetzt

  • Lesedauer: 3 Min.
Unabhängig agierende Berufs- oder Spartengewerkschaften sind ein relativ neues Phänomen. Mit ihren Beschäftigten, die nicht selten an Schlüsselpositionen arbeiten, können sie erheblichen Druck aufbauen - aber nicht nur auf die Arbeitgeber. Auch die DGB-Gewerkschaften müssen ihr Handeln der veränderten Situation anpassen.

Mit der Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) im Oktober 1949 sollte vor allem die weltanschauliche Spaltung der Arbeiterbewegung überwunden worden. Die ihm angehörenden Fachgewerkschaften etablierten sich als Tarifpartner der Unternehmerverbände und hatten über Jahrzehnte faktisch ein Monopol auf den Abschluss von Tarifverträgen und die Organisation von Arbeitskämpfen. Zwar wurden 1949 mit der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) und dem Deutschen Beamtenbund weitere Dachverbände gegründet, diese verfügten aber über keine eigenständige Tarifmacht. Das galt auch für die zahlreichen berufsständischen Vereinigungen, die teilweise auf eine lange Tradition zurückblicken konnten.

Doch ab der Jahrtausendwende bekam das eingespielte System der Einheitsgewerkschaften deutliche Risse. Die Privatisierung großer Staatsbetriebe wie der Bundesbahn, der Post und der Lufthansa sowie die Ausgliederung von Institutionen der Daseinsvorsorge aus dem öffentlichen Dienst führten zu einer Zersplitterung der Tariflandschaft. Der 2001 als Zusammenschluss von vier Fachgewerkschaften und der DAG entstandenen Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gelang es nicht, Reallohnsenkungen zu verhindern und die spezifischen Interessen einzelner Berufsgruppen wirksam zu vertreten. Der eingeschlagene Kurs der »Sozialpartnerschaft« und des »Co-Managements« in den privatisierten Staatsbetrieben führte dazu, dass sich die bislang in Tarifgemeinschaften eingebundenen Berufs- und Spartengewerkschaften selbstständig machten, um eigene Tarifverträge durchzusetzen.

Erneuerung durch Streik

Am heutigen Freitag beginnt die Streik-Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Stuttgart. Das Wochenende über werden GewerkschafterInnen aus verschiedenen Branchen von ihren Erfahrungen mit unterschiedlichen Arbeitskampfmodellen berichten. Roter Faden der Konferenz »Erneuerung durch Streik« sind »Erfahrungen mit einer aktivierenden und demokratischen Streikkultur«.

Parallel zur Veranstaltung, zu der sich nach Stiftungsangaben rund 450 Menschen angemeldet haben, ist eine lesenswerte Studie von Claudia Schmalstieg erschienen (herunterladen unter www.rosalux.de). Für die Autorin ist die Möglichkeit der Mitwirkung für die Beteiligten ein Grundpfeiler aktiver Streikkultur. Schmalstieg untersucht und beschreibt deren Veränderungen in den vergangenen Jahren. Eine wichtige Frage für sie ist, wie Organisationsmacht entsteht und erweitert werden kann. Das »nd« ist als Medienpartner der Konferenz vor Ort und wird in seiner Montagausgabe aus Stuttgart berichten. jme

 

Getragen von einem hohen Organisationsgrad und der Tätigkeit ihrer Mitglieder an Schlüsselstellen wichtiger Dienstleistungsbranchen haben die Berufsgewerkschaften für Ärzte (Marburger Bund), Piloten (Vereinigung Cockpit), Fluglotsen (Gewerkschaft der Flugsicherung), Kabinenpersonal (Unabhängige Flugbegleiter Organisation) oder Lokführer (Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer) eine hohe Durchsetzungsmacht - und waren auch zunehmend bereit, diese einzusetzen. Oftmals gegen den erbitterten Widerstand der »zuständigen« DGB-Gewerkschaften setzten sie eigenständige Tarifverträge durch, die erhebliche Einkommensverbesserungen beinhalteten. So legte die GDL in der Tarifrunde 2007/2008 in mehreren Streikwellen phasenweise den gesamten deutschen Bahnverkehr lahm. Die Tarifgemeinschaft mit der DGB-Gewerkschaft Transnet hatte die GDL bereits 2003 gekündigt, nachdem Transnet Arbeitszeitverlängerungen für Lokführer im Regionalverkehr zugestimmt hatte. Transnet unterstützte - anders als die GDL - die Pläne der Deutschen Bahn für einen Börsengang des Unternehmens und akzeptierte dafür auch Reallohnverluste. Erfolgreiche Tarifauseinandersetzungen führten - mit oder ohne Streiks - auch die anderen Berufsgewerkschaften. Die DGB-Organisationen warfen der »Konkurrenz« vor allem die »Spaltung der Belegschaften« und die »rücksichtslose Durchsetzung von Sonderinteressen auf Kosten der anderen Berufsgruppen« vor. Ein Vorwurf, der sich kaum belegen lässt. So sah sich beispielsweise die Deutsche Bahn gezwungen, den anderen Mitarbeitern nach dem erfolgreichen Lokführerstreik einen entsprechenden Nachschlag zu gewähren.

Der DGB wollte sein Tarifmonopol mit allen Mitteln verteidigen. Gemeinsam mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) startete man im Juni 2010 eine Initiative für »Tarifeinheit« mit dem Ziel, das Streikrecht für Spartengewerkschaften faktisch abzuschaffen. Nach massivem innergewerkschaftlichen Protest machte der DGB ein Jahr später einen Rückzieher.

Dennoch wird weiter mit harten Bandagen gegen die kämpferischen Spartengewerkschaften vorgegangen. So sieht sich die Flugsicherungsgewerkschaft GdF derzeit einer Klagewelle von Flughafenbetreibern und Fluggesellschaften gegenüber. Diese fordern Schadensersatz in zweistelliger Millionenhöhe wegen eines zweiwöchigen Streiks von 200 Vorfeldmitarbeitern am Frankfurter Flughafen im Februar 2012.

Trotz aller offiziellen Abgrenzung räumen auch DGB-Gewerkschafter - wenn auch hinter vorgehaltener Hand - mittlerweile ein, dass die Arbeitskämpfe der Spartengewerkschaften durchaus frischen Wind in das Tarifgeschehen gebracht haben. Und die jüngsten Aktionen der von ver.di vertretenen Sicherheitsmitarbeiter auf den Flughäfen und im Busverkehr Brandenburgs lassen den Schluss zu, dass man beginnt, die Lektion zu lernen: Die Entstehung und das Erstarken weiterer Spartengewerkschaften können die DGB-Organisationen nur verhindern, wenn sie selber bereit sind, auch die Interessen einzelner Berufsgruppen konsequent zu vertreten.

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