Täglich 1000 neue Fälle

Experten fordern nationale Diabetes-Strategie zur Bekämpfung der Krankheit

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Deutsche Diabetes-Hilfe präsentierte am Dienstag in Berlin ihre aktuelle Kampagne für eine nationale Strategie zur Bekämpfung der verbreiteten und weiter zunehmenden Stoffwechselkrankheit.

Geht es nach den Experten, sollen im Jahr des Bundestagswahlkampfes Diabetiker ihre Wahlkreisabgeordneten ins Gebet nehmen. Die personelle Stärke, Politiker zu beeinflussen, hätten sie durchaus: Sechs Millionen Menschen sind betroffen, täglich erkranken 1000 neu. Alle sollen angemessen versorgt sein, aber die Einstellung der Blutzuckerwerte mit Medikamenten bleibt häufig eine lebenslange Aufgabe.

Deshalb setzt die aktuelle Kampagne ihren ersten Schwerpunkt auch auf die Versorgung der Erkrankten. Explizit gefordert wird der Ausbau der Früherkennung, da Diabetes Typ 2 in der Regel acht bis zehn Jahre zu spät diagnostiziert wird. Das ist verlorene Zeit im Hinblick auf Folgeerkrankungen: Nierenschäden, Erblindung, ein mindest doppelt so hohes Schlaganfallrisiko im Vergleich zu Nicht-Diabetikern. 40 000 Amputationen pro Jahr bei Diabetikern sprechen eine deutliche Sprache.

Mit den Folgeerkrankungen steigen die Kosten, so Eva-Maria Fach, niedergelassene Diabetologin im bayrischen Rosenheim. Die Behandlung eines Typ-2-Diabetes kostet pro Jahr zwischen 1000 und 1500 Euro, kommt eine Folgeerkrankung hinzu, werden es 3000 Euro, bei zweien schon 4500 Euro. Auch in der Gesamtrechnung bewirken die »Zuckerkranken« 1,8-fach höhere Krankheitskosten als Menschen ohne dieses Leiden. Pro Jahr entstehen in Deutschland direkte Kosten von 21 Milliarden Euro, einschließlich Folgeerkrankungen sind es sogar 48 Milliarden Euro. Dabei sind Kosten für Fehlzeiten oder Frühberentung noch nicht einbezogen.

Dennoch scheint es auch für dieses Krankheitsbild trotz vieler Versuche zur integrierten Versorgung immer noch Mauern im Gesundheitswesen zu geben. Die Diabetes-Hilfe nimmt nun neuen Anlauf, mit den Hausärzten und anderen Berufsgruppen eine »Versorgungslandschaft« zu schaffen und die Krankenkassen zu innovativen Konzepten anzuhalten. So sollen Schwachpunkte wie unzureichende Forschung, zu wenige niedergelassene Endokrinologen als Fachleute für Diabetologie oder die bisher nicht mögliche Erstattung von Glucose-Mess-Systemen (CGM), die kontinuierlich Blutzuckerwerte feststellen, beseitigt werden.

Noch dramatischer als die heutigen Erkrankungszahlen und die daraus folgenden Kosten stellt sich allerdings aus Sicht der Behandler die Zukunft dar. Sie gehen davon aus, dass von den Übergewichtigen, die in Deutschland schon die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, noch viele an Diabetes erkranken werden. Zu viel falsches Essen und zu wenig Bewegung sind die wichtigsten Risikofaktoren.

Während in 16 von 27 europäischen Ländern schon nationale Strategien existieren, gibt man sich in Deutschland immer noch mit einem Sammelsurium von Einzelmaßnahmen - insbesondere in der Prävention - zufrieden. Claudia Leippert vom Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe nennt das »Schulfruchtprogramm« in Norddeutschland als einen der kleinen Leuchttürme auf diesem Gebiet. Passieren müsste aber noch viel mehr als nur das: Eine volle Sportstunde an jedem Schultag, kein Verkauf von Süßigkeiten und zuckerhaltigen Getränken an Schulen, Nährwertkennzeichnung in Kettenrestaurants direkt neben dem Preis, keine Werbung für zu fette, zu süße oder salzige Lebensmittel, die sich an Kinder und Jugendliche wendet.

www.diabetes-stoppen.de

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