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»Das wusste schon Goethes Faust.«

Buchmesse in Leipzig – Tag 1

Begrüßt wurden die Autoren, Verleger und Buchhändler aus 43 Ländern in Leipzig von Oberbürgermeister Burkhard Jung. Während er auf der festlichen Eröffnungsveranstaltung im Leipziger Gewandhaus beklagte, dass an die großen Verlage – Brockhaus, Reclam, Insel - in seiner Stadt nur noch Straßennamen erinnern und längst nicht mehr 60 000 Menschen wie noch in den 80er Jahren im Buchgeschäft tätig sind, protestierten vor dem Musentempel in eisiger Kälte einige Mitarbeiter von in Insolvenz getriebenen Druckereien und Verlage. Zwei Wochen vor der Eröffnung der Buchmesse schlug am 28. Februar auch noch für die Offset-Druckerei »Messedruck Leipzig« die letzte Stunde, etwa 60 Mitarbeiter sind seit dem 1. März arbeitslos, wie »nd« von den Demonstranten erfuhr. Was bleibt von der einst renommierten Buchstadt Leipzig? Nur noch die jährliche Bücherschau im Frühjahr?

Besorgt zeigt sich auch Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Seine Sorge gilt einem Online-Konzern, »der uns von Luxemburg aus neben vielem anderen Bücher anbietet« und nunmehr auch im Buchgeschäft Marktführung anstrebe. Der Literaturprofessor sieht den klassischen Buchhandel durch das Vordringen von Amazon in Gefahr und warnt vor einer Monopolisierung der Buchkultur, die nur zum Verlust von Unabhängigkeit, Individualität und Vielfalt führen könne. Sein mitreißendes Plädoyer für die großen und kleinen Buchhandlungen in Städten und Gemeinden: »Bücher leisten in ihrer Vielfalt einen wesentlichen Beitrag für eine freie demokratische Gesellschaft. Sie können die Welt verändern, sie bilden und informieren. Sie sind das nach außen verlagerte Gedächtnis der Menschen. Es ist deshalb nicht gleichgültig, wo ich kaufe und verkaufe. Das wusste schon Goethes Faust.«

Beruhigt verfolgen hingegen mittlerweile Autoren, Verleger und Buchhändler die Entwicklung in der elektronischen Branche. Zwar ist die Zahl der E-Book-Leser in den letzten zwei Jahren von vier auf elf Prozent gestiegen und soll IKEA angeblich weniger Billy-Regale verkauft haben - doch das klassische Buch ist nicht verdrängt, erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit. Wie denn auch der Publikumsansturm auf die Buchmesse am Donnerstag, punkt 10 Uhr bezeugte.

Beängstigend allerdings sind die Zahlen, die der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich zur Messeröffnung vortrug. Laut einer EU-Studie von 2012 können 20 Prozent der Europäer nicht ausreichend lesen und schreiben. In Deutschland gibt es zwei Millionen totale und 7,5 funktionale Analphabeten in der erwachsenen Bevölkerung. »Helfen Sie denen, die nicht lesen können!«, appellierte Tillich emphatisch an Autoren, Verleger und Buchhändler, ohne indes ein Wort über die unsoziale, früh selektierende und ausgrenzende Bildungspolitik in der Bundesrepublik im Allgemeinen und im Freistaat im Konkreten zu verlieren.

Bewegend war die Laudatio des türkischen Schriftstellers Feridun Zaimoglu auf Klaus-Michael Bogdal, der für sein Buch »Die Erfindung der Zigeuner« mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung geehrt wurde. Schonungslos hielt er der europäischen Gesellschaft den Spiegel vor, legte Stereotype, Klischees, Vorurteile bloß, entlarvte die irreale Angst vor den Zigeunern auch heute noch, klagte die »Verzeichnung« der Fremden an und Tugenderziehung, die Hass sät. »In den Schriften eines Jahrtausend hat man die Zigeuner erfunden, ihnen alles Menschengleiche abgesprochen. Der Untermensch ist das Wort der Stunde, es besteht aus tausend schmutzigen Wörtern der Vergangenheit.« Atemlos das Auditorium, als Zaimoglu seinen Vortrag mit den Worten schloss: »Ich verbeuge mich vor den Seelen der verfemten und gemordeten Roma und Sinti.«

Bogdal begründete, warum er über das »böse Gedächtnis der Kultur« schreiben musste. Auch Literatur könne Gewalt ausüben – durch Beschämung, Erniedrigung und Entwürdigung. Und auch der Geisteswissenschaftler habe sich stets zu fragen, worin das Politische des eigenen Tuns bestehe, betonte der Literaturprofessor aus Duisburg. Für ihn unerträglich ist, »dass die alte ausgrenzende Vorstellung, es handele sich bei den Romvölkern um Nicht-Europäer, deren man sich allerorts entledigen sollte, in jüngster Zeit auf erschreckende Weise« wieder auflebt.
Diese wird natürlich auch durch verantwortungslose Äußerungen von Politikern befördert, wie jüngst etwa vom deutschen Innenminister Friedrich hinsichtlich der Einwanderung von Bulgaren und Rumänen wider der in der UN-Charta der Menschenrechte und der Europäischen Verfassung fixierten der universellen Rechte und Würde aller Menschen.

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