Nicht die Schuld des Internets

Albrecht Ude über mangelhafte Recherche im Netz

  • Lesedauer: 4 Min.
Der Journalist und Recherchetrainer Albrecht Ude wundert sich über Kollegen, die bis heute nicht mit dem Internet als Recherchewerkzeug umgehen können. Dabei ließen sich mithilfe des Webs journalistische Fehler vermeiden und viele spannende Geschichten finden, erklärt Ude im Gespräch mit Robert D. Meyer auf der LiMa.

Inwiefern leiden Recherchen im Redaktionsalltag heutzutage aufgrund des zunehmenden Zeitdrucks, etwa durch Onlineangebote, wo alles möglichst schnell verfügbar sein sollte?
Ude: Nein. Es gibt immer Recherchen, die eine längere Zeit brauchen. Das ist ganz normal, egal ob ich einen Beitrag im Print, für das Fenrsehen oder Online veröffentlichen möchte. Ich kann erst dann veröffentlichen, wenn ich weiß, dass es fertig ist und eine Geschichte gut durchrecherchiert wurde. Mir ist bei vielen Recherchefehlern aufgefallen, dass das Problem nicht an der fehlenden Zeit gelegen hat, sondern dass die Journalisten nicht wussten, wie man eine bestimmte Recherche angeht.

Stellen die vielen Informationen im Netz für Journalisten nicht die Gefahr eines Überangebotes dar? Früher haben Journalisten Leute angerufen, wenn sie etwas wissen wollten, heute dagegen schauen sie häufig nur noch im Internet nach.
Das Internet kann das persönliche Gespräch auf keinen Fall ersetzen. Das Internet kann mir aber dabei helfen, denjenigen schneller zu identifizieren, mit dem ich sprechen möchte, weil er bestimmte Fähigkeiten hat oder auf einem bestimmten Posten sitzt. Das genannte Überangebot ist Teil der modernen Welt. Während früher die Schwierigkeit darin bestand, überhaupt an Informationen zu kommen, ist es heute die Herausforderung, die Informationen herauszufiltern, die für meine aktuelle Fragstellung nicht relevant sind. Das ist aber nicht die Schuld des Internets. Jeder der fragt, muss sich einfach im Laufe der Zeit die Werkzeuge und Methoden erarbeiten, um erfolgreich recherchieren zu können.

Woran erkenne ich seriöse Informationen im Netz?
Man muss Quellen aus dem Internet genauso prüfen, wie etwa bei einem Gespräch mit einem Menschen. Ich muss mich fragen: Ist er vertrauenswürdig, ist er kompetent, sagt er mir die Wahrheit. Das muss ich genauso im Internet tun. Dafür gibt es allerdings andere Techniken, die leider noch nicht genügend verbreitet sind.

Herrscht in den Redaktionen von heute, das nötige Problemverständnis vor bzw. wie sieht es bei der Ausbildung junger Journalisten aus? Spielt der richtige Umgang mit den Recherchemöglichkeiten des Internets hier eine Rolle?
Nach meiner Erfahrung wachen Redaktionen dann auf, wenn schwere Fehler geschehen sind und etwas passiert ist. Beispielsweise ist die Deutsche Nachrichtenagentur (dpa) vor einigen Jahren auf einen Fake hereingefallen. Der Punkt ist aber, dass sie diesen Fake leicht hätten enttarnen können, wenn sie bestimmte Recherchetechniken angewendet hätten. Als der dpa dies passiert ist, hat sie danach begonnen ihre Redakteure nachzuschulen. Allerdings nicht aus der Überlegung heraus, wir müssen jetzt eine neue Recherchetechnik lernen, sondern weil sie auf die Nase gefallen sind. Noch ist Onlinerecherche zu wenig in der Ausbildung von Journalisten präsent. Es gibt so viele Sachen, wo ich sage, dass sind Standartrecherchen, die muss man einfach draufhaben, um auf der sicheren Seite zu sein und zu wissen, ist diese Quelle jetzt fragwürdig oder nicht. Diese Techniken sind leider auch vielen gestandenen Kollegen nicht bekannt.

Was für ein Fehler war der dpa damals passiert?
Das ist der sogenannte Bluewater-Fall, der mittlerweile sogar bei Wikipedia beschrieben wird. Letztendlich bestand die Falschmeldung darin, dass es in einem kalifornischen Städtchen namens Bluewater ein Selbstmordattentat gegeben hätte. Dieser Fake war auf zwei gefälschte Webseiten aufgebaut. Eine gefälschte Webseite der Stadt sowie die eines angeblichen lokalen TV-Senders. Es wurde sogar Videomaterial von dem vermeintlichen Feuerwehr und Polizeieinsatz nach dem Anschlag gezeigt. Es gab Twitter-Accounts von Leuten, die an dem vermeintlichen Restaurant, wo das passiert sein soll, vorbeikamen und sofort getwittert haben. Es gab sogar Telefonnummern von der örtlichen Polizeiwache und Feuerwehr, wo der dpa-Redakteur angerufen hat. Was der Redakteur nicht mitbekommen hat: Es handelte sich um Skypenummern, die nur wie amerikanische Nummern aussahen. Diese lenkten aber tatsächlich zu jemandem in Berlin, der natürlich wusste, was er zu sagen hat.

Die verwendeten Twitter-Accounts waren gerade einmal drei Tage alt und die beiden Webseiten waren praktisch zur selben Minute angemeldet worden. Mit ein paar formalen Überprüfungsmethoden hätte man herausfinden können, dass es dieses Bluewater nicht gibt.

Ist das Internet für Journalisten nun mehr Segen oder Fluch?
Es liegt daran, wie das Internet genutzt wird. Es ist wie mit jedem Werkzeug. Wenn ich damit umgehen kann, dann werden da am Ende auch vernünftige Werkstücke rauskommen.

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