Schönschwung des Erzählens

Am BE: »Die schönen Tage von Aranjuez«

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Bühne ist blaue Bodenhelle, schwarz eingerahmt von einem geradezu fetten Guckkasten-Poral. Geräusche von Wind nitunter, Lichtspritzer auch, als fielen in diesen »Sommerdialog« bereits erste Herbstblätter. Es will dämmern, den beiden da und der Jahreszeit. Ganz vorn eine Vase mit Sonnenblumen.

Mann und Frau sitzen sich gegenüber, am Gartentisch. Ein Apfel wird hin- und hergerollt. Einmal wirft ihn die Frau dem Mann an den Leib, der krümmt sich, als habe ihn ein Schuss getroffen. Einmal auch geht der Mann umher, kurz Kreise wandernd - ein wenig Aktion dürfe doch sein, oder? Ein wenig. Er fragt's spöttisch. Lächeln im Publikum, als sei die Szene geradezu explodiert. Dann sogar eine entblößte Schulter der Frau, aus der Gedämpftheit heraus wirkt es wie eine Übertretung. Theater wünscht sich, Gemälde zu werden. Die Szene, der Sinn, die Gemüter: malerisch.

»Die schönen Tage von Aranjuez« heißt Peter Handkes neues, bezauberndes Stück; auf der Probebühne des Berliner Ensembles erlebte es nun seine deutsche Uraufführung, Regie und Bühne: Philip Tiedemann. Der Rahmen ist aufreizend bescheiden, um nicht zu sagen: überraschend dürftig für diesen Dichter! an diesem Haus!

»Ein Sommerdialog« zwischen einem Schauspieler und einer Schauspielerin. Über die Narrheiten und Schrecknisse von Findung, Bindung, Trennung. Reden über das erste Liebeserlebnis. Über den schönen Schwung des Erzählenwollens, der sofort verfliegt, wenn man gedrängt wird. Sinnieren über den Blitz der Glut, der dich treffen kann, wenn du aufs Begehren triffst. Reden darüber, wie sich die Erde verwandelt, wenn es still wird.

Dieses Buch ist aber auch eine einzige heitere Naivität der Emanzipation von besserer Einsicht in den Lauf der Dinge. Denn bessere Einsicht lähmt den Irrglauben - aber nur der verändert die Welt, weil er aus störrischer, uneinsichtiger Leidenschaft kommt und den gewissheitsummauerten Bestand des Realen angreift.

Handke, das ist schönster Irrglaube daran, dass es ihn gibt, den Trotz-Kosmos, die bewegte Aufgelöstheit der Dinge und Benennungen - bei der vom einzelnen Ereignis und Bild nicht zu sagen wäre, ob es vorbei ist, ankommt, immer da war, nie ans Ende kommt, vielleicht.

Der Mann ist es vorrangig, der fragt. Und sie erzählt - von Orten ihrer Leidenschaften, vom Zauber männlicher Silhouetten. Schweifendes Erzählen, sie spricht vom »Liebemachen«, aber: kein Glück, das Sichhingeben so wenig glücklich wie das Einanderaufgeben. Handke ist ein Dichter des Sachten. Was ist sacht? Alles, was du festhältst - ohne dessen Flüchtigkeit zu verletzen oder zu leugnen. Sacht ist, was die Vergehenswahrheit der Dinge und Wahrnehmungen und Empfindungen als die mögliche große Dauer lebenswerter Momente erzählt.

Ein Abend mit Sylvie Rohrer und Rüdiger Vogler (er war damals dabei, bei der berühmten skandalösen Uraufführung von Handkes »Publikumsbeschimpfung« in Frankfurt am Main, Regie: Claus Peymann). Rohrers helle, heiter, frech vorprellende Stimme, die mit Geheimnissen spielt, ohne je zu raunen. Dazu seine distanzierte, souverän sonore Gelassenheit, der Entrückungen aller Art schwer fallen, wenn er sie denn nicht mit leiser Ironie übermalen darf. Als sei Männlichkeit eine Verlegenheitslösung. Sie im luftig erdfarbenen Kleid, ein Barfußbein auf dem Stuhl; er in Hose und Jackett, als könne er umgehend aufbrechen zur Dienststunde.

Was wir lieben, sagt der Mann, haben wir doch schon von Anfang an verloren. Eine Liebeskunst, sagt sie, gibt es nicht, hat es nie gegeben, wird es niemals geben. Aber »es ist schrecklich schmerzhaft, zugleich lebendig und allein zu sein«. So rollen sich beide das jeweilige Erzählen zu, der Apfel schafft beim Rollen über die Tischrillen mitunter die größere Unkontrolliertheit - die gefasste Einsamkeit beider siegt oft über die unagetastet bleibende Verzahnungskraft des Dialogs. Tiedemann vertraut mutig unaufgeregt dem Text, anvertraut ihn uns; zwei Schauspieler ganz zurückgenommen - welch Vertrauen in die eigene Aura. Handke weckt solche Kräfte des inständigen Neben-Bei sich-Seins.

Zwei, die vorsichtig, fast bedächtig miteinander spielen, auf einer Bühne, die nicht Leben wird, nie Leben war. Missverständnis zwischen ihnen als heiter beäugte Tragödie: Die Frau sinnt Beziehungen nach, der Mann indes beschreibt Verwandlungen, die in ihm vorgingen bei Flanier-Erlebnissen mit Spatzen und »explodierendem« Springkraut.

In diesen Passagen ist Handke atemberaubend bildhaft, toll auffahrend in seiner Mission, uns das Sehen zu lehren. Das Wesen der uns umgebenden Dinge in Worte zu fassen - dies also, was einem Dichter alles ist: Vielleicht ist es aber weit weniger, als eines anderen Wesens Hand zu fassen. Flugzeug und Hubschrauber, Krankenwagen und Autosperre schicken jetzt Zivilisationsgeräusch. Gedröhn. Vorbei das Sommern, das Distanzfest, das Spiel, das hier immer nah beim Verlöschen zu sein scheint, ehe es in Fahrt kommen kann, in Fahrt kommen darf.

Tja, so bin ich, sagt die Melancholie. Wie von fernher klingend.

Nächste Vorstellung: 24. März

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