Die Revanche der tapferen Näherinnen

Französische Textilindustrie bietet wenig Chancen

  • Andrea Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Kaum ein Fall hat den drohenden Untergang der französischen Textilindustrie so deutlich gemacht wie das Ende der Marke Lejaby. Doch einigen der entlassenen Näherinnen ist es gelungen, sich durch Mut und Eigeninitiative eine neue Existenz aufzubauen. Die steht zwar noch auf wackligen Beinen, weist aber neue Wege.

Die Firma für Unterwäsche und Bademoden wurde 1930 gegründet und florierte über Jahrzehnte hinweg. Lejaby galt geradezu als Aushängeschild für französisches Savoir-faire. Doch dann unterboten die sogenannten Billigländer die Löhne, die Arbeitskosten in Frankreich waren nicht mehr wettbewerbsfähig. In den 1990er-Jahren wurden die ersten Produktionen nach Tunesien verlagert. Zu diesem Zeitpunkt besaß Lejaby in Frankreich noch acht Fabriken mit rund 1200 Angestellten.

Nach dem Tod seines Gründers wurde das Unternehmen 1996 an die US-Gruppe Warnaco verkauft. Mehrere Sanierungen folgten, jedes Mal stieg der Leistungsdruck für die verbliebende Belegschaft. 2003 wurden vier der acht Fabriken geschlossen und ein Viertel der Arbeiterinnen entlassen. 2009 übernahm der österreichische Unterwäschehersteller Palmers die Firma. Im darauffolgenden Jahr bedrohte ein weiterer Sozialplan hunderte Arbeitsplätze.

Doch die Näherinnen gaben sich nicht geschlagen. Zwei Wochen lang besetzten sie das Werk in Rillieux-la-Pape, in der Nähe von Lyon. Trotzdem meldete Lejaby 2010 Insolvenz an; weitere Sozialpläne folgten. Anfang 2012 kam ein neuer Investor: Alain Prost, der frühere Leiter der italienischen Dessous-Marke »La Perla«, zahlte einen symbolischen Euro, übernahm den Standort, gründete »La Maison Lejaby« und entließ 260 Arbeiterinnen - mehr als die Hälfte der verbliebenen Belegschaft.

Einigen von ihnen ist es dank eines recht unerwarteten Projekts gelungen, nach der Fabrikschließung wieder auf die Füße zu kommen. Sie gründeten in Villeurbanne, in der Nähe von Lyon, ihre eigene Schneiderwerkstatt und stellen dort nun hochwertige, 100 Prozent französische Unterwäsche her.

Hinter dem ehrgeizigen Projekt steht Muriel Pernin, die eigentlich eine Kommunikationsagentur leitet. Die 49-Jährige war tief bewegt von der Geschichte der Näherinnen, die um ihren Arbeitsplatz und für den Erhalt ihres Handwerks kämpften. Ohne Mittel, ohne Erfahrungen im Textilsektor, aber mit vielen Kontakten und einer ordentlichen Portion Überzeugung traf sie sich mit den Näherinnen der aufgegebenen Werke, um sie von ihrem Projekt einer unabhängigen Schneiderwerkstatt zu überzeugen.

Doch zunächst klopfte sie vergeblich an die Tore von Banken, Modehäusern und Behörden; niemand war bereit, in das Projekt zu investieren. So kamen Muriel Pernin und die Näherinnen auf die Idee, sich direkt an die Öffentlichkeit zu wenden. Im Juni 2012 starteten sie einen Spendenaufruf über Facebook und erhielten in den folgenden Wochen tausende Schecks von Privatpersonen, die je nach ihren Möglichkeiten zwischen zehn und 1000 Euro spendeten. Dieser unerwartete Solidaritätsschub brachte den Frauen insgesamt 80 000 Euro ein. Weitere 150 000 Euro kamen von verschiedenen Unternehmern. Einige Näherinnen steuerten ihre eigenen Ersparnisse bei. Letztendlich ließen sich auch mehrere Banken auf das Abenteuer ein.

Die neu gegründete Schneiderwerkstatt heißt »Les Atelières«. Sie beschäftigt 26 Näherinnen zwischen 20 und 60 Jahren, die alle unbefristete Arbeitsverträge erhalten haben und mindestens 1300 Euro monatlich verdienen - Traumbedingungen in einem Sektor, der in Frankreich aus Arbeitskostengründen kaum noch existiert.

Vor allem aber haben sich die Näherinnen zu einer Kooperative (SCIC) zusammengeschlossen. Die Firmenstrategie und alle wichtigen Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. »Man hat uns am Anfang für verrückt erklärt, aber wir haben das Projekt aus eigener Kraft durchgezogen«, erklärt die Näherin Nicole Mendez stolz. Doch nur sechs der 26 Näherinnen haben zuvor bereits für Lejaby gearbeitet. Vielen - vor allem älteren Arbeiterinnen - war das Projekt zu riskant oder sie schreckten vor dem notwendigen Umzug zurück. Die neuen Näherinnen mussten eine dreimonatige Ausbildung absolvieren, die zum Großteil vom Staat und der Region Rhône-Alpes finanziert wurde.

Mitte Januar haben die »Atelières« die Produktion aufgenommen. Ironie des Schicksals oder ausgleichende Gerechtigkeit: der erste Kunde der »Atelières« ist ausgerechnet Alain Prost, der Lejaby übernommen und 260 Näherinnen entlassen hatte. Genau deren Berufserfahrung und Fingerfertigkeit benötigt er nun für die Herstellung seiner Luxus-Lingerie-Kollektion. »Maison Lejaby« hat bei den »Atelières« eine erste Bestellung von 10 000 Stücken aufgegeben. »Wir haben bereits zwei weitere, verbindliche Bestellungen und mehr als 30 Angebote«, freut sich Muriel Pernin. Ihr Ziel ist es, bereits Ende 2013 ein ausgeglichenes Budget vorlegen zu können.

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