Amazon-Beschäftigte wollen streiken

Leipziger Management beharrt auf Entlohnung zweiter Klasse

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Amazon steht Streik ins Haus. 97 Prozent der in der Leipziger Niederlassung des Versandhändlers beschäftigten ver.di-Mitglieder stimmten für Arbeitskampf.

Die Urabstimmung in Leipzig kurz vor Ostern lässt keinen Zweifel zu: Mit dem klaren Ergebnis von 97 Prozent, das am Freitag bekanntgegeben wurde, ist hier ein Streik näher gerückt. Ver.di fordert die Aufnahme von Tarifverhandlungen und den Abschluss eines Haustarifvertrages, der den tariflichen Standards für den Einzel- und Versandhandel entspricht. Das Management orientiert sich bei der Entlohnung bisher an den deutlich schlechteren Standards für die Logistikbranche. Gewerkschafter beklagen, dass Amazon bislang formelle Tarifverhandlungen abgelehnt habe und für die deutschen Amazon-Standorte bisher keine Tarifbindung besteht.

In der seit 2006 bestehenden Leipziger Niederlassung arbeiten rund 1200 Festangestellte sowie 800 befristet Beschäftigte. Der Einstiegslohn beträgt aktuell 9,30 Euro, nach zwei Jahren 10,57 Euro. Weihnachts- oder Urlaubsgeld wird nicht gezahlt. Nachtarbeitszuschläge werden erst ab Mitternacht gewährt. Ver.di fordert ein tarifliches Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Zuschläge ab 20 Uhr, eine verbindliche Lohnuntergrenze von 10,66 Euro pro Stunde vom ersten Beschäftigungstag an und mindestens 11,39 Euro nach einem Jahr.

Da die Amazon-Standorte jeweils juristisch selbstständige Einheiten sind und das Management derzeit weder von Haustarifen geschweige denn von Flächentarifverträgen etwas wissen will, lässt sich die Tarifbindung für die einzelnen Standorte auch nur durch handfesten Druck vor Ort erreichen.

Dabei stehen nach Leipzig nun auch im osthessischen Bad Hersfeld die Zeichen auf Sturm. In der dortigen Niederlassung ruft ver.di die Beschäftigten für Dienstag zu einer Versammlung in der Mittagszeit unter freiem Himmel auf, um über den neuesten Stand in der Tarifauseinandersetzung zu informieren. Zwar hat der örtliche Amazon-Geschäftsführer Armin Cossmann nach Mitteilung des zuständigen ver.di-Fachbereichs Handel die Gewerkschaftsvertreter für Montag zu einem Gespräch eingeladen. Diese Unterredung stelle jedoch keine Tarifverhandlung dar, habe der Manager betont. Als größter Online-Versandhändler der Republik habe Amazon jedoch »Vorbildfunktion«, betont Bernhard Schiederig von ver.di Hessen: »Die Beschäftigten haben es verdient, dass die Tarifverträge für den Einzel- und Versandhandel auch für sie gelten.«

Die Bad Hersfelder Amazon-Niederlassung war im Februar nach der Ausstrahlung eines ARD-Dokumentarfilms über kritikwürde Arbeits- und Wohnbedingungen für spanische Leih- und Wanderarbeiter ins Rampenlicht geraten. Weil der Betriebsrat einen weiteren Einsatz von Leiharbeitern über die Zeitarbeitsfirma Trenkwalder ablehnt, rief die Geschäftsleitung das Arbeitsgericht Fulda an. Ein erster Gütetermin endete ergebnislos, der Konflikt schwelt weiter.

Doch auch in der Stammbelegschaft in Bad Hersfeld hat sich Unmut angestaut. Eine Arbeiterin, die anonym bleiben will, spricht gegenüber »nd« von Schikanen, Lohndrückerei und psychischem Druck im Betriebsalltag. »Junge Manager sind nicht zuletzt aufgrund fehlender Berufspraxis und mangelnder Qualität in Sachen Mitarbeiterführung unfähig, die Nöte der Mitarbeiter zu verstehen und ihnen auch Ernst und Respekt entgegen zu bringen.« Kommentar Seite 8

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