Das darf nur der Elektriker

Patientenbericht über eine Woche in der Göttinger Universitäts-Klinik

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 4 Min.

»Haben Sie einen Transportschein?« Wegen extrem starker Schmerzen in Rücken und Bein habe ich am Morgen des 21. März die Nummer 112 gewählt. Ich brauche einen Krankenwagen, sage ich, nachdem sich ein Mann mit »Notdienstzentrale« gemeldet hat. Er fragt nicht, was ich habe. Er will einen Schein.

Der Krankenwagen fährt mich in die Göttinger Uni-Klinik. In dem in den 1970er Jahren errichteten Betonkasten werden jährlich rund 45 000 Patienten stationär und 100 000 Patienten ambulant behandelt. Ein Arzt sticht mir eine Nadel in den Arm, legt eine Braunüle und schließt einen Schmerz-Tropf an. 100 Milliliter, das Zeug läuft irre schnell, nach fünf Minuten ist das Plastikfläschchen leer. Nun geht es zum Röntgen.

Es dauert eine Stunde, bis ein Gerät frei ist. Eine Schwester - heißen die Schwestern überhaupt noch Schwestern? - hastet an mir vorbei. »Ist ihnen kalt?«, fragt sie. »Nein«, sage ich. Sie wirft trotzdem eine Decke über mich, der Rand der Decke streift den Schlauch an meinem Arm, der Schlauch rutscht aus der Braunüle, aus der Öffnung sickert Blut. Niemand ist in der Nähe. Wahrscheinlich verblute ich gleich.

Kein Mensch erwartet im Krankenhaus eine Gourmet-Küche. Aber doch Mensa-Qualität. Das Essen in der Uni-Klinik für die Patienten ist aber viel schlechter, es entspricht ungefähr dem im Knast - als die JVA Göttingen 2007 eröffnet wurde, konnten Journalisten dort einen Tag und eine Nacht auf Probe wohnen. Billige Zutaten, wenig Obst und Gemüse, Mini-Portionen Salat ohne Dressing. Wie vor Jahrzehnten sind die Teller mit grauen oder hellgrünen Isolierschalen abgedeckt.

Morgens nach sieben Uhr kommt der Arzt. Eine Helferin im Gefolge, rauscht er durchs Zimmer, erkundigt sich nach dem Befinden der Patienten - und ist, ehe man zu Ende geantwortet hat, schon wieder raus. Der Arzt ist in Eile, die Station groß, es gibt viel zu tun, da kann er sich nicht bei jedem Kranken lange aufhalten.

Samstagabend gibt die 25-Watt-Birne in der Leselampe über meinem Bett ihren Geist auf. Die Nachtschwester sagt, Ersatzbirnen darf nur der Elektriker ausgeben. Wo ich den denn finde? In seinem Büro, sagt die Nachtschwester, aber erst am Montag wieder.

Am Montagnachmittag werde ich auf eine andere Station verlegt. Dort bekomme ich zunächst kein Abendessen. Es ist, wie die Stationsschwester auf Nachfrage mitteilt, nicht angemeldet. Meinen Einwand, dass ich seit fünf Tagen im Krankenhaus bin und für alle Mahlzeiten die Bestellbögen ausgefüllt habe, fegt sie zur Seite: »Sie hätten sich ihr Essen eben von der anderen Station mitbringen müssen«, sagt sie. Als ich protestiere, will sie »sehen, was sich noch machen lässt«. Später am Abend bekomme ich zwei Scheiben Brot und etwas Aufschnitt; Reste, die übrig geblieben sind. Merke: Wer nicht protestieren kann, muss ohne Abendbrot ins Bett.

Mein Zimmernachbar, Herr P., ist deutlich schlechter dran als ich. Seine Wirbelsäule wurde versteift. Er hat Schmerzen, stöhnt und ächzt, schnarcht und schnauft. Nachts klingelt er häufig nach der Schwester, die ein Schmerz- oder Schlafmittel bringen, die Urinflasche ausleeren oder den Verband wechseln soll. Herr P. tut mir leid. Ich möchte keine versteifte Wirbelsäule haben. In das Mitleid mischen sich nach der zweiten Nacht aber auch Aggressionen. Ich will schlafen. Wie soll man sonst gesund werden?

Mittwoch. Der Tag der Entlassung rückt näher. Es gibt noch viel zu erfragen und zu organisieren. Die weitere Behandlung, Krankschreibung für die Verdienstausfall-Versicherung, Rezepte für Physiotherapie und Medikamente, Überweisung in eine Reha-Klinik. Ich klopfe an die geöffnete Tür des Stationszimmers. Schwester E. sitzt am PC, dreht sich aber nicht um, als ich mich räuspere und freundlich »Guten Tag« sage. »Was denn?«, sagt Schwester E. zum Computer. Ich stelle eine Frage. Schwester E. haut weiter in die Tasten, würdigt mich immer noch keines Blickes, hebt dann den Telefonhörer ab, wählt und fängt an zu telefonieren. Um mich geht es dabei nicht.

Service

Über Missstände in Krankenhäusern und die Rechte von Patienten informieren Sie sich hier:

● Der Verein »Patientenrechte im Krankenhaus e.V.« berät online auf www.patientenrechte-im-krankenhaus.de.

● Das Onlineportal www.medleaks.org ermöglicht es medizinischem Personal, etwaige Missstände an Krankenhäusern anonym mitzuteilen - und sich so vor möglichen Repressalien zu schützen.

● In ihrem Buch »Patienten-Service im Krankenhaus. Ein strategisches Instrument für das Gesundheitsunternehmen der Zukunft« geben die Autoren René A. Bostelaar und Christina Kießling einen guten Überblick über den Patientenservice in Kliniken. rp

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