Kurz vor dem Infarkt

Dauerkrise am Volkstheater Rostock

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Mitte letzter Woche stellte das Rostocker Volkstheater die kommende Spielzeit vor, das tun gerade alle Theater. Die Besonderheit in Rostock: Die neue Spielzeit kann nur bis Dezember dieses Jahres - also eigentlich gar nicht - geplant werden. Es fehlt eine halbe Million Euro. Schauspieldirektor Jörg Hückler, der seit zehn Jahren immer wieder ambitionierte Projekte anstößt (so kamen kürzlich »Gas 1« von Georg Kaiser und »Atropa - Die Rache des Friedens« von »Schlachten«-Autor Tom Lanoye zur Premiere), hört zum Spielzeitende auf, er ist des ewigen Streits um die Bedingungen der künstlerischen Arbeit am Hause müde. Neue Schauspieldirektorin (für nur eine Spielzeit, dann geht sie nach Magdeburg) ist Cornelia Crombholz. Von dieser Entwicklung schockiert, sprach sie von einem »absoluten Skandal«.

Aber das hat in Rostock Methode. Die Stadt in Person von Oberbürgermeister Roland Methling (parteilos) geht mit dem Volkstheater um wie mit einer leidigen Last, die man sich eigentlich nicht leisten kann und will. Die ständige Ruf-Beschädigung des Volkstheaters hinterlässt Spuren. Wer geht schon gern an einen Ort, der als permanenter Krisenfall ausgerufen wird? Theater ist immer auch ein Platz der Hochgestimmtheit - und diesen so lange schon zu Boden gedrückt zu haben, ist vor allem die Schuld der Politik, nicht nur der Stadt, auch des Landes. Der Bildungsminister der Landesregierung Mathias Brodkorb (SPD) scheint ohnehin überhaupt der einzige Kultur-Politiker zu sein, der der neoliberalen These anhängt, dass Subventionen für die Kultur eher schädlich seien und die Kultur (in Form von »Kulturwirtschaft«) gefälligst selbst ihr Geld verdienen solle. Darum hat Mecklenburg-Vorpommern auch seit zwanzig Jahren den Kulturetat nicht erhöht - und das bei ständig steigenden Kosten. Da die Theater des Landes in GmbHs umgewandelt wurden (ein Unding unter solch schlechten Rahmenbedingungen) und mit ihren Mitteln selbstständig wirtschaften müssen, stehen sie regelmäßig vor dem Aus.

Alle Theater haben seit der Wende ihre Mitarbeiterzahlen nahezu halbiert, Greifswald fusionierte mit Stralsund und Putbus, Neustrelitz mit Neubrandenburg. Geholfen hat das wenig: Selbst das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin stand kürzlich wieder vor der Insolvenz. Ein schönes Aushängeschild für ein Bundesland, das sich gern als vorbildlich in Sachen Tourismus präsentiert, aber seine Haushaltsüberschüsse (die gibt es nämlich) keinesfalls in die chronisch unterfinanzierte Kulturszene investieren will.

In der »Ostseezeitung« vom 4. Mai war zu lesen, dass Greifswalds Ballettchefin Sabrina Sadowska, die in sechzehn Jahren über 50 Choreographien entwickelte und für den überregionalen Ruf der Tanzsparte sorgte, nach Chemnitz geht. Ihr Kommentar: »Dieser Kulturkannibalismus, der von Schwerin ausgeht, ist entwürdigend.« So deutlich trauen sich das die Intendanten und Geschäftsführer der Theater nicht zu sagen. Das Land ist klein und man sitzt sich in Verhandlungen immer wieder gegenüber, da ist Diplomatie gefragt - aber bis zu welcher Grenze geht die hier übliche Politik der Hinterzimmer?

Und immer neue Hiobsbotschaften. Man betreibt eine Ermüdungsdebatte, Entsolidarisierung droht. Orchester und Oper haben andere Interessen als das Ballett und das Sprechtheater. Der Landesregierung sind Events mit durchreisenden Stars ohnehin viel lieber als ein kontinuierlich ihren Auftrag wahrnehmendes Theater, das es für seine Pflicht hält, sich auch in die Angelegenheiten vor Ort einzumischen. Die Landesregierung plant, die Theater in Schwerin und Rostock zu fusionieren, wo doch eher eine Kooperation zweier selbstständiger Häuser sinnvoll wäre. Da es starke Widerstände in Rostock gegen eine Fusion gibt, soll wenigstens aus dem Vierspartenhaus in Rostock ein Zweispartenhaus werden. Ein völliger Niedergang droht, denn wer kann unter solchen jahrelangen Querelen noch künstlerische Spitzenleistungen vollbringen?

In diese Abwärtsbewegung platzt nun eine Personalie herein, die für einen Trendwende stehen könnte, will man Optimist sein. Denn zum neuen Intendanten des Volkstheaters Rostock ab Spielzeit 2014/15 wurde Sewan Latchinian berufen, der derzeit die Neue Bühne Senftenberg leitet, erfahren im Umgang mit Finanzierungskrisen ist und dennoch ein Theater macht, das überregionale Bedeutung hat. Die Wahl kommt überraschend, auch deshalb, weil Landesregierung und Rostocks Oberbürgermeister eigentlich überhaupt keinen neuen Intendanten für das Volkstheater mehr haben wollten, damit dieser einer Fusion nicht im Wege steht. Sind diese Pläne nun vom Tisch?

Dass das traditionsreiche Volkstheater überhaupt noch eine Existenz-Chance hat, ist vor allem dem - durch Opernstiftung und Berliner Volkstheater krisentrainierten - Geschäftsführer Stefan Rosinski zu verdanken. Wenn man auf die Website des Volkstheaters geht, kommt einem dort die von ihm initiierte Postkartenaktion »Volkstheater muss sein« entgegen. Rosinski ist Organisator und Visionär in einem. Dass das Große Haus nach Schließung aus Brandschutzgründen so schnell - nach Einbau von über 200 Brandschutztüren und Rauchmeldern - wieder eröffnet werden konnte, ist vor allem sein Verdienst. Aber er ist auch jemand, der über das »Theater in Transformation« nachdenkt, darüber, wie sich in Rostock ein Volkstheater im postsozialistischen Übergangsfeld neu orientieren kann. Mit Blick zurück auf die Ära Hanns Anselm Perten ebenso wie nach vorn auf ein neues, die ganze Stadt einbeziehendes Projekttheater. Er hält vom bloßen »Politiker-Bashing« nichts, sucht das Gespräch mit den Entscheidungsträgern in Stadt und Land, ist in der Sache entschieden, aber in der Form moderat.

Bei einer von der Zeitschrift »Theater der Zeit« und dem Volkstheater in der vergangenen Woche organisierten Podiumsdiskussion über die Zukunft des Rostocker Theaters (an der auch der am Volkstheater zu DDR-Zeiten vielgespielte Dramatiker Rolf Hochhuth teilnahm) begegneten sich zwei starke Charaktere auf der Bühne. Latchinians Pläne für das Rostocker Vierspartenhaus sind überaus ambitioniert. Wo er auftritt, beeindruckt schon jetzt sein Elan die in heillose Parteienkämpfe verstricke Stadt. Viel wird also davon abhängen, ob sich Rosinski und Latchinian auf eine gemeinsame Linie für die Verteidigung des Volkstheaters einigen können. Es geht in der Hansestadt wieder einmal um alles.

Die von Gunnar Decker moderierte Podiumsdiskussion zur Zukunft des Volkstheaters Rostock wird im Juniheft der Zeitschrift Theater der Zeit dokumentiert.

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