Im Windkanal

Seit einem Jahr hat NRW eine rot-grüne Mehrheitsregierung - deren Probleme nehmen zu

  • Bettina Grönewald, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Minderheitsregierung ist Geschichte, seit einem Jahr kann Rot-Grün in NRW »durchregieren«. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) ist bundesweit auf dem Höhepunkt ihrer Popularität. Zu Hause werden die Proteste dagegen lauter.

Düsseldorf. Sympathien füreinander werden Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) nicht nachgesagt. Gemeinsamkeiten haben sie aber: Auch wenn die politische Lage schwierig wird, bleiben ihre Popularitätswerte hoch.

An diesem Donnerstag steht Kraft ein Jahr an der Spitze einer rot-grünen Mehrheitsregierung im bevölkerungsreichsten Bundesland. Zuvor hatte sie fast zwei Jahre Deutschlands einzige Minderheitsregierung geführt und bei dem schwierigen politischen Balance-Akt im Fünf-Parteien-Parlament viel Respekt erworben.

Doch nun ist die Schönwetter-Periode beendet: Seit Monaten machen Beamte mobil gegen Abstriche bei den diesjährigen Tariferhöhungen. Viele Auftritte der Regierungschefin sind begleitet von protestierenden Richtern und Polizisten. Vor dem Landtag bescherten sie ihr im Mai die größte Demonstration ihrer Amtszeit.

Wegen der höchsten Neuverschuldung aller Bundesländer hat die Opposition Kraft den Titel »Schuldenkönigin« verpasst und ihr mangelnden Sparwillen vorgeworfen. Dass sie sich nun auspfeifen lassen muss, weil sie den höchsten Besoldungsgruppen zwei Nullrunden verordnen will - damit aber Stellenstreichungen vermeidet - ärgert die Sozialdemokratin. Dennoch will sie Kurs halten: »Das muss man aushalten und das halte ich auch aus.«

Eine noch größere Baustelle ist der gemeinsame Unterricht behinderter und nicht behinderter Kinder. Viele Bundesländer blicken darauf, wie NRW die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen umsetzen wird. Bei den Experten ist der Gesetzentwurf von Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) allerdings krachend durchgefallen. Erst in diesem Monat erntete die Vorlage bei einer Sachverständigenanhörung die größte Ablehnung unter allen bisherigen rot-grünen Gesetzesvorhaben. Die Experten vermissen vor allem verbindliche Standards zur Qualitätssicherung. Die Kommunen fürchten, auf den Kosten sitzenzubleiben. Löhrmann wird nachsteuern müssen. Damit hat die Vize-Regierungschefin vermutlich die schwierigste Aufgabe im Kabinett.

Proteste gibt es weiterhin gegen das Nichtraucherschutzgesetz, das unter der Mehrheitsregierung eines der schärfsten der Republik wurde. Ein Bündnis sammelt schon Unterschriften für ein Volksbegehren.

Ein rot-grüner Zankapfel bleibt der Streit um das geplante Steinkohlekraftwerk in Datteln. Das milliardenschwere Projekt, das einmal der modernste Steinkohle-Meiler Europas werden soll, liegt nach zwei Gerichtsurteilen wegen zahlreicher Verstöße gegen Umwelt- und Planungsrecht auf Eis. Viele SPD-Politiker sähen es gerne am Netz, die Grünen sind dagegen und blockieren es auf kommunaler Ebene. Dennoch ist das Klima in der rot-grünen Koalition professionell geblieben. Beide Partner halten sich an den Koalitionsvertrag und setzen ihn Dank komfortabler Mehrheit im Landtag Stück für Stück um. Verabschiedet wurden unter anderem ein ambitioniertes Klimaschutzgesetz, eine Ladenschluss-Novelle, Reformen für stärkere Bürgerbeteiligung und ein Milliarden-Hilfsprogramm für die Kommunen. Die saßen Ende 2012 mit rund 58 Milliarden Euro auf dem höchsten Schuldenberg der Landesgeschichte.

Trotz vieler ungelöster Aufgaben behauptet Kraft ihren Platz als beliebteste Sozialdemokratin Deutschlands. Angesichts dessen haben es die drei Oppositionsparteien im Landtag schwer. Dennoch hat die CDU ihr Trauma nach dem Absturz unter Kurzzeit-Parteichef Norbert Röttgen überwunden. Laut Umfragen ist sie wieder von 26 Prozent bei der Landtagswahl im Mai 2012 auf 35 Prozent geklettert. Der Aufwind der FDP unter Christian Lindner flaut hingegen ab, und die Piraten drohen mit derzeit nur noch zwei Prozent Zustimmung in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Die LINKE - seit 2012 nicht mehr im Landtag - erhielt bei der Mai-Umfrage drei Prozent.

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