Rätselraten über Verbleib von Snowden

Medieninformant nahm Geheimdienstjob mit dem Ziel auf, Internetspionage zu enthüllen / Debatte über Datenschutz in Deutschland / SPD für Volksentscheid

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Berlin (Agenturen/nd). Während weiter unklar ist, wo sich der frühere Geheimdienstmitarbeiter und Medieninformant Edward Snowden aufhält, sorgt ein Zeitungsbericht über seinen Werdegang für Schlagzeilen. Der 30-Jährige hat danach eine Arbeit als IT-Techniker bei einer vom US-Geheimdienst NSA beauftragten Firma bereits in der Absicht gesucht, die staatliche Schnüffelei im Internet aufzudecken. Allein aus diesem Grund sei er bei der Beratungsfirma Booz Allen Hamilton eingestiegen zitierte ihn die Hongkonger Zeitung »South China Morning Post«. Seine Arbeit habe ihm Zugang zu Listen mit gehackten Computern in der ganzen Welt verschafft. »Deswegen habe ich die Position vor rund drei Monaten angenommen.«

Auf Nachfrage, ob er speziell den Job bei Booz Allen Hamilton angenommen habe, um Material dafür zu sammeln, antwortete Snowden: "Korrekt." In seiner Arbeit als Computer-Administrator habe er große Mengen an geheimen Informationen gesammelt. Nach Angaben der Zeitung, die nach und nach Teile ihres Interviews vom 12. Juni veröffentlicht, will der 30-Jährige weitere Enthüllungen über die Schnüffeleien der USA machen. Vorher wolle er das Material aber noch weiter sichten.

Derweil herrschte in Moskau großes Rätselraten über Snowdens Verbleib. Zunächst war die Information gestreut worden, der 30-Jährige wolle über Havanna nach Ecuador reisen, woraufhin viele Medienvertreter einen Platz in der Aeroflot-Mittagsmaschine buchten. Dort wurde er aber nicht gesichtet. Während einige russische Medien berichteten, er habe das Land bereits verlassen, behaupteten andere, Snowden halte sich im Transitbereich des Flughafens Moskau-Scheremetjewo auf. Der Blick richte sich am Dienstag erneut auf die Mittagsmaschine der staatlichen Gesellschaft Aeroflot, die um 12.05 Uhr MESZ von Moskau-Scheremetjewo nach Havanna fliege.

Auf seiner Flucht vor der US-Justiz bekommt »Whistleblower« Snowden inzwischen Unterstützung aus der Bevölkerung. Mehr als 100 000 Menschen hatten bis zum Montag auf der Internetseite des Weißen Hauses eine Petition unterstützt, die eine sofortige und vollständige Straffreiheit für den »Nationalhelden« fordert.

In der Bundesrepublik haben die von Snowden ermöglichten Enthüllungen unterdessen für eine Diskussion über die massenhafte Ausspähung von Internetdaten gesorgt. Während Hessens Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) scharfe Konsequenzen forderte, verteidigte der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl (CDU), die Arbeit der Geheimdienste. »Großbritannien spielt den Daten-Blutegel der Europäischen Union. Man kommt sich vor, wie in einem schlechten Bond-Film«, sagte Hahn »Handelsblatt Online«. Er forderte Aufklärung »auch dahingehend, ob der größte Internetknotenpunkt Europas in Frankfurt/Main betroffen ist«. Für den Fall, dass nicht alle Fragen bis ins »kleinste Detail« beantwortet würden, sei auch ein europäisches Vertragsverletzungsverfahren zu prüfen.

»Das Sammeln und Analysieren von Daten ist die Kernaufgabe der Nachrichtendienste«, sagte hingegen Unions-Innenexperte Uhl der »Welt«. Das sei »nicht böse, sondern richtig.« Allerdings wolle auch er von den amerikanischen und britischen Behörden wissen, »was sie treiben«. »Ein zivilisierter Rechtsstaat muss genau differenzieren zwischen Daten, die der Terrorabwehr dienen, und privaten Daten, die der Staat schützen muss«, sagte Uhl.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar sagte der »Bild«-Zeitung, es sei »offenkundig, dass ausländische Geheimdienste viele deutsche Internetnutzer überwachen«. Offenbar werde unsere tägliche Kommunikation »ohne jeden Anlass und Verdacht ausgeforscht«. »Wer so unschuldig in Verdacht gerät, muss bittere Konsequenzen fürchten und hat kaum Möglichkeiten sich zu wehren«, warnte Schaar.
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, fordert in der »Welt« weniger Kritik von deutscher Seite. »Die Deutschen werden in der Welt als diejenigen wahrgenommen, die sich empören und verweigern.« Für ein hohes Datenschutzniveau sei ein gemeinsames Vorgehen notwendig. »Wir dürfen nicht nur als Nörgler auffallen«, sagte Wendt.

Der Chef des Bundestagsgremiums zur Kontrolle der Geheimdienste, Thomas Oppermann (SPD), brachte zur Klärung der Frage des Datenschutzes im Internet auch einen Volksentscheid ins Gespräch. »Unser Konzept für direkte Demokratie sieht vor, dass auch über die Frage, wie umfänglich der Datenschutz im Internet sein soll, per Volksentscheid abgestimmt werden kann«, sagte er der »Rheinischen Post«. Eine Bürgerbeteiligung »bei diesem Thema kann ich mir gut vorstellen«, sagte Oppermann.

Die Linkenpolitikerin Heike Hänsel forderte internationalen Schutz und „unsere Solidarität“ für Whistleblower wie Snowden, Julian Assange und Bradley Manning. Die entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion sagte, „statt diejenigen zu verfolgen, die wertvolle Informationen über Rechtsbrüche ihrer Regierungen öffentlich machen, sollten die Rechtsbrüche und Kriegsverbrechen im Rahmen der Überwachungs- und Kriegspolitik der USA verfolgt werden“. Die Linksfraktion erwarte zudem rechtliche Initiativen der Bundesregierung zum Schutz ihrer Bürger „vor der illegalen Überwachung durch britische und amerikanische Geheimdienste“.

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