Ein Überfall zur Verlobung

Prozess um rassistische Attacke hat begonnen

  • Lesedauer: 3 Min.
In Halle hat der Prozess gegen drei Männer begonnen, die im April 2012 auf einem Volksfest in Eisleben eine syrischstämmige Familie zusammenschlug - am Tag von deren Verlobung.

Der 29. April 2012 war »der schönste Tag in meinem Leben«, sagt Wassim H. Der 33-Jährige hatte sich an diesem Tag in Eisleben mit seiner Freundin Hanan G. verlobt. Nach einer fröhlichen Feier wollte die Festgesellschaft sich an der frischen Luft die Beine vertreten, und zwar auf dem Frühlingsfest »Eislebener Wiese«. Dort freilich wendete sich der »schönste Tag« und wurde binnen Minuten zum traumatischen Ereignis, unter dessen Folgen H. wie auch andere Mitglieder der Familie bis heute leidet. Die Gruppe, darunter drei Frauen, wurde von mehreren jungen Männern zusammengeschlagen. Wassim H. spricht von »Ungeheuern«, die ihn um sein Leben fürchten ließen: »Ich hatte das Gefühl, man wird mich töten.«

14 Monate später sitzt H. in Saal 123 des Landgerichts Halle den »Ungeheuern« gegenüber: drei Männern im Alter zwischen 20 und 32 Jahren, stämmige Gestalten, zwei von ihnen mit großen Ringen in den Ohren und auffälligen Tätowierungen am Hals. Die Anklage wirft ihnen einen »hinterlistigen Überfall« mit einer »das Leben gefährdende Absicht« vor. Um 18:25 Uhr sollen sich die Angeklagten an dem Abend unvermittelt auf die Familie gestürzt und sie mit Schlagring, Totschläger und abgebrochenen Flaschen traktiert haben. Zeugenaussagen legen ein rassistisches Motiv nahe. So soll gerufen worden sein: »Das habt ihr nun davon, ihr Ausländer.«

Nicht zuletzt die Frage, ob Rassismus das Motiv für den Angriff war, dürfte an den mindestens elf weiteren Prozesstagen gründlich geprüft werden. Die Angeklagten, die sich zum Auftakt selbst oder über einen Anwalt äußerten, bestreiten einen solchen Auslöser. Der 20-jährige Eric St., der als erster zuschlug, erklärt, er sei früher an jenem Tag selbst angegriffen worden und meinte, Täter wiedererkannt zu haben. Zugleich sei er »betrunken bis zum Umfallen« gewesen. Der 25-jährige Ronny G. und der sieben Jahre ältere Marcel H. wollen mit der Absicht interveniert haben, die Konfrontation zu beenden: »Ich wollte nur helfen und schlichten«, sagte letzterer. Auf die Frage, ob ausländerfeindliche Parolen zu seinem Repertoire gehörten, sagte er: »Nicht immer.«

Dass sie Zweifel an dieser Schilderung hat, ließ die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens deutlich durchblicken. Sie zeigte sich verwundert, dass G., der nach eigenen Angaben in der Vergangenheit in der rechten Szene aktiv war und zu Rechtsrockkonzerten in Sachsen ebenso fuhr wie zu Naziaufmärschen im Februar in Dresden, beim Besuch auf dem Volksfest Totschläger und Schlagring bei sich führte - die er am Abend zuvor als Geburtstagsgeschenk erhalten hatte. Zudem äußerte sie ihr Unverständnis über das Verhalten der Angeklagten nach dem Überfall. Diese hatten, offenbar weil sie Polizeisirenen hörten, den Rückzug angetreten, waren per Auto über Helbra nach Artern gefahren und hatten sich erst zwei Tage später gestellt. »Das war doch eine Flucht«, sagte Mertens: »Warum sind sie abgehauen?«

Antworten auf diese und weitere Fragen soll bis November in dem Prozess gefunden werden, der zunächst am Amtsgericht Eisleben hatte stattfinden sollen: Die Anklage hatte sich dabei auf deutlich mildere Tatvorwürfe gestützt und das Geschehen als eine Art Wirtshausschlägerei behandelt. Es gab Interventionen der Nebenklagevertreter und unschöne Presseberichte.

Im Januar entschied die Eislebener Kammer, den Fall wegen der Dimension und des möglichen hohen Strafmaßes an das Landgericht Halle abzugeben. Auch dort ist man freilich überfordert - zumindest in räumlicher Hinsicht: Der enge Gerichtssaal fasst nur knapp 40 Zuschauer und Journalisten. Äußerst knapp bemessen ist auch die Bank der Nebenklage, auf der fünf Anwälte sechs Mitglieder der geschädigten Familie vertreten. Bezeichnendes Detail am Rand: In der Anklage werden diese wegen ihrer syrischen Herkunft als »Besucher und Gäste« bezeichnet. Alle hätten aber, sagt Anwalt Stefan Scharmer, die deutsche Staatsbürgerschaft: »Darauf legen sie Wert.«

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