Wartburg, Werra, Veritas

Produktkultur in der DDR

  • Bernd Havenstein
  • Lesedauer: 6 Min.

Es gab einmal eine kurze Zeitspanne, da wurde die durch einen Überhang an privater Kaufkraft und einen Mangel an erwerbbaren Produkten geprägte DDR-Gesellschaft eine »Wegwerf-Gesellschaft«. Jene Zeitspanne begann im Frühsommer 1990 und verebbte dann mit dem Hineingleiten in die Wegwerf-Gesellschaft des wirtschaftlich potenteren großen Bruders ab dem 3. Oktober 1990. Der Münchener Kulturhistoriker Prof. Gert Selle schrieb 1990 zu diesem in der deutschen Geschichte bisher einmaligen Phänomen: »Ein solcher Einschnitt in die alltagskulturelle Orientierung, ein derartiger Verlust an Gegenstandsnähe und Vertrautheit mit einer Werte-Tradition, dieser allgemeine Schmäh des einst für gewollt Erklärten und als gut Erachteten - all das kann ohne Trauerarbeit um das Verlorene, ohne Reste eines Kulturstolzes, ohne das Bewusstsein, neben den neuen Errungenschaften auch etwas unwiederbringlich verloren zu haben, nicht gut gehen. Das Mindeste, was bleiben wird, ist eine Identitätskrise jener Beute-Deutschen, die sich, gerade vereinnahmt, ihrerseits einbilden, nun endlich könnten auch sie ihr Schnäppchen machen. Dass auch sie etwas für ein Linsengericht verraten, kommt ihnen kaum in den Sinn.« Der vollständige Text ist 1991 in dem vom Deutschen Werkbund herausgegeben Band »Vom Bauhaus bis Bitterfeld - 41 Jahre DDR-Design« veröffentlicht worden.

Der Design-Publizist Günter Höhne hat diesen Beitrag in seine im Jahr 2009 erschienene Textsammlung »Die geteilte Form - Deutsch-deutsche Designaffären 1949 bis 1989« aufgenommen. Im Prolog zur erneuten Veröffentlichung seines damaligen Essays schrieb Selle mit heutigem Blick auf seinen alten Text: »Die Erfahrung Ostdeutscher, einst in einer eigenen Kultur des Alltags gelebt zu haben, die einerseits ökonomisch einigermaßen stabil abgesichert, andererseits von politischer Enge und Kontrolle überschattet war, sieht sich plötzlich mit einer Krisensituation konfrontiert, die niemand erwartet hat. Sie sorgt dafür, dass auch die nach 1989 grassierende westdeutsche Siegerlaune von der Erkenntnis aufgehoben wird, dass der euphemistisch mit dem Begriff der freien Marktwirtschaft umschriebene Kapitalismus doch kein so ideales Modell ist, wie dem Osten einst triumphierend vorgehalten wurde.«

Den Ostdeutschen, denen sich mit der neuen Währung das überquellende Warenparadies des Westens erschloss, haben zwei Jahrzehnte Erfahrung sammeln können. Zur anfänglichen Begeisterung gesellen sich jedoch Jahr für Jahr neue, beunruhigende Fakten. Tausend Tote beim Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch (wie viele Tote gab es an der Berliner Mauer in 28 Jahren?), Hunderte Verbrannte in anderen asiatischen Konfektionsbetrieben: Wer kann da noch unberührt sein billiges T-Shirt kaufen? Wiederkehrende Berichte in den Medien über Giftstoffe in Spielwaren und menschenunwürdige Produktionsbedingungen in der Dritten Welt. Aus den entferntesten Ecken dieser Erde herbeigeschaffte Waren, bei deren Preisen sich jeder fragen muss, wie die Hersteller und Händler da noch einen Gewinn kalkulieren können. Und die bange Frage, was die Frau, der Mann oder das Kind, die dieses Produkt hergestellt haben, wohl damit verdienten. Obwohl die große Faszination über den scheinbar unversiegbaren Quell kapitalistischer Warenwelt ungebrochen scheint - ein Unbehagen bleibt und wächst.

Natürlich gibt es die technischen Spitzenprodukte und Designklassiker. Aber wirkliche Qualität und kulturelle Dauerhaftigkeit gibt es nur für viel, oftmals nur für sehr viel Geld. Wunderbare Designlösungen bleiben finanziell Privilegierten vorbehalten, weil sie in Kleinstserien oder gar manufakturartig hergestellt werden. Die Lohn- und Gehaltsabhängigen aber sind auf das angewiesen, was Industrie und Handelsketten für die Saison- und Modezyklen auf den Markt werfen. Anonym-Design von anonymen Produzenten, denn selbst wenn ein deutscher Firmenname auf der Verpackung oder am Produkt zu finden ist, muss es nicht in Deutschland hergestellt worden sein. Der reparatur- und improvisationsbegabte Ostdeutsche macht Erfahrungen mit Reparaturfeindlichkeit, mit eingebauten »Sollbruchstellen« ab Werk und dem daraus folgenden Zwang zum Wegwerfen. Eine »Patina des Gebrauchs« - einst eine gewünschte Zielvorgabe der ostdeutschen Designer - kann sich bei diesen Dingen nicht entwickeln. Es geht um den schnellen Modellwechsel, um immer kürzere Nutzungsphasen. Das Kauferlebnis soll dominieren, nicht die lebensbegleitende Nutzung.

Seit dem Ende seiner Tätigkeit im Amt für industrielle Formgestaltung und seiner Funktion als Chefredakteur der Fachzeitschrift »form + zweck« im Jahre 1990 betreibt Günter Höhne eine in ihrem Umfang nur immens zu nennende Arbeit, um das Wirken der in der DDR tätigen Formgestalter/Designer aus der Anonymität zu holen, Akzeptanz, Respekt und Anerkennung einzufordern. Hierbei ist er nicht nur emsiger Schreiber, sondern auch zupackender Helfer und »Seelsorger« für die nun meist im achten Lebensjahrzehnt stehenden Designer der ersten Generation. Etliche von ihnen sind schwer erkrankt, einige schon verstorben. Stellvertretend genannt für die vielen, um die sich Günter Höhne rührig kümmerte und kümmert, seien Jürgen Peters, Wolfgang Dyroff, Margarete Jahny, Karin und Heinz Hirdina.

Sein jüngstes Buch ist vor kurzem erschienen. »Wartburg, Werra, Veritas - DDR-Design hatte so manchen guten Namen« - so der Untertitel des Prologs. Vor sieben Jahren (2006) hatte der Kölner Verlag ein umfangreicheres Buch mit gleichem Titel von Günter Höhne herausgebracht. Die jetzige Ausgabe ist eine gekürzte und aktualisierte Fassung des ersten. Da Günter Höhne zur Straffung vom Verlag angehalten war, konzentrierte er sich auf »Wohnen mit System«, »Der gedeckte Tisch« und »Helfer im Haushalt«. Aus diesem Grund auch der Zusatz im Buchtitel: »Kultur im Heim« und damit an eine begehrte Fachzeitschrift der DDR erinnernd sowie an einen gleichnamigen Verkaufssalon in der Karl-Marx-Allee.

Das Buch-Cover mag auf den ersten Blick »Ostalgie« assoziieren (die Gott sei Dank endlich vorbei zu sein scheint), es ist aber nur der gelungene Appetitanreger, um dieses Buch zu durchblättern und den Gedanken Raum zu geben. Schaulust und Leselust auf »Augenhöhe«! Die Leselust wird kräftig befeuert durch den feinen Humor des aus dem Sächsischen kommenden Autors. Leseprobe? Unter dem Titel »Hummel macht die Fliege« schreibt Höhne: »Heinz Hummel (Dresdener Hersteller von Plattenspielern, d. A.) erfreut sich immer neuer Verkaufserfolge. Weniger beglückt werden diese von den staatlichen Wirtschaftsorganen wahrgenommen und dem Kleinunternehmer legt man nun sehr dringend nahe, sich nicht weiter in Konkurrenz mit den staatlichen Betrieben zu begeben und seine Firma doch besser ›volkseigen‹ machen zu lassen. Hummel weiß, was ein Nein bedeuten würde: die Zwangsverstaatlichung. So setzt er sich mit seiner Familie 1958 fluchtartig nach Westdeutschland ab. Wie so manch kluge Köpfe, die in der DDR doch nur etwas Gutes und Schönes tun wollten.«

Kenntnis der Materie kann der Leser bei Höhne voraussetzen. Was aber nur mit dem Unterhalt einer riesigen Sammlung geht. Genauer gesagt »ging«. Denn nachdem schon das Leipziger Grassi-Museum für Kunsthandwerk Teile davon ankaufte, erkannte auch die Leitung der Neuen Sammlung in München den hohen Kulturwert dieser Exponate. Vor kurzem ging wohlverpackt eine große Lkw-Ladung in die Pinakothek der Moderne nach Bayern. Seine Gefühle beim Davonfahren des Lkw umschrieb Höhne mit dem Verweis auf das Grimmsche Märchen vom Hans im Glück, dem seine jahrelange Arbeit mit einem Klumpen Gold entlohnt wurde und der am Ende - bar aller Dinge - ausruft: »So glücklich wie ich gibt es keinen Menschen unter der Sonne.« Aber auch ohne Sammlung werden wir von Höhne noch weitere substanzielle Wortmeldungen zum Thema Produktkultur im Osten erwarten können. Nicht nur im kleinen Kreis der Gesellschaft für Designgeschichte, deren Gründungsmitglied er ist.

Übrigens: Der am 31. August 1990 im Berliner Kronprinzen-Palais von Schäuble und Krause signierte Unterwerfungsvertrag wurde mit der vergoldeten Ausführung eines Füllfederhalters der Modellreihe M 801 des VEB Schreibgerätewerk Markant in Singwitz unterzeichnet. Der Hersteller erhielt dafür 1979 die Auszeichnung »Gutes Design«.

Günter Höhne: DDR-Design - Kultur im Heim. Komet-Verlag, geb., 128 S., 7,99 €.

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