Lügen für eine neue Leber

Im Organspendeskandal wird dem ersten Angeklagten der Prozess gemacht

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Als im vergangenen Jahr bekannt wurde, dass Ärzte die Krankenakten ihrer Patienten manipuliert hatten, damit diese schneller an Spenderorgane kamen, war der mediale Aufschrei groß. Der Rückgang der Spender ist eine direkte Folge des Skandals. Am Montag begann in Göttingen der erste Prozess gegen einen der verantwortlichen Mediziner.

Am Montag begann am Göttinger Landgericht die juristische Aufarbeitung des Organspendeskandals, die vor einem Jahr die Republik erschütterte und in dessen Folge die Spendenbereitschaft der Deutschen massiv zurückging. In Göttingen, Regensburg, Münster und Leipzig sollen Mediziner bewusst gegen die strengen Richtlinien zur Organvergabe verstoßen haben, um bestimmte Patienten zu bevorzugen. In München kamen so auch Alkoholiker auf die Warteliste, obwohl diese normalerweise keine Spenderorgane erhalten sollen. Inwiefern Geld dabei eine Rolle spielte, ist nicht bekannt. Dem nun angeklagten früheren Leiter der Transplantationschirurgie des Uniklinikums Göttingen unterstellt man als Motiv bislang lediglich »Geltungssucht«.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 46-Jährigen versuchten Totschlag in elf Fällen sowie Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen vor. Der Professor soll die Blutwerte seiner Patienten manipuliert haben, um sie kränker erscheinen zu lassen, als sie eigentlich waren. Dadurch rückten sie auf der zentralen Warteliste für ein neues Organ weiter nach vorne und kamen schneller an die Spenderleber. Damit habe der Arzt den Tod anderer Patienten, die tatsächlich sehr krank waren, billigend in Kauf genommen, so die Staatsanwaltschaft.

Der Angeklagte, der seit Januar in Untersuchungshaft sitzt, bestreitet die Vorwürfe. Sein Anwalt betonte, dass selbst wenn der Arzt wahrheitswidrige Angaben gemacht habe, dies kein Fall für den Richter wäre, weil es eine entsprechende Strafvorschrift zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht gegeben habe. Der Prozess gilt als juristisches Neuland. Schließlich kann nicht nachgewiesen werden, wer die Geschädigten sind. Auch deshalb wurden insgesamt 40 Prozesstage angesetzt. Vor Mai 2014 wird deshalb kein Urteil fallen.

Unabhängig vom Ausgang des Prozesses haben die Vorfälle potenzielle Spender verschreckt. Dies belegen die aktuellen Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), die dem »nd« vorliegen. Demnach betrug der Rückgang bei den Organspendern im ersten Halbjahr 2013 mehr als 18 Prozent. Dieser Einbruch ist schmerzhaft. Schließlich waren Spenderorgane bereits vor dem Skandal extreme Mangelware. Derzeit warten rund 11 000 Bundesbürger auf ein neues Organ, während die DSO bis Ende Juni gerade einmal 459 Spender zählte. Nach Angaben der Organisation sterben jeden Tag drei Menschen, weil für sie kein passendes Organ gefunden wurde.

Für die Vermittlung der Organe zuständig ist Eurotransplant (ET) mit Sitz in den Niederlanden. Für jedes Organ werden dort die gemeinsamen Wartelisten der ET-Mitgliedsländer geführt. Dazu zählen neben der Bundesrepublik etwa auch die Niederlande, Belgien, Kroatien und Ungarn.

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) beteuerte am Montag, dass Manipulationen der Warteliste künftig nicht mehr möglich seien. Deutschland habe die Regeln »noch mal verschärft«. Inzwischen dürfe nicht mehr ein Arzt alleine über die Wartelistenposition entscheiden, so Bahr. Es gebe jetzt »Transplantationskonferenzen, unangemeldete Überprüfungen sowie in jedem Krankenhaus einen Transplantationsbeauftragten«.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz verwies am Montag auf ein ganz anderes Problem. So seien die Anmeldungen für die Transplantationsliste in jüngster Zeit um 24 Prozent zurückgegangen. »Ein Viertel weniger Anmeldungen zeigt, dass die Regeln der Bundesärztekammer für die Wartelistenmeldungen doch nicht so eindeutig, verbindlich und transparent sind, wie uns die Institutionen einreden wollen«, kritisierte Eugen Brysch vom Vorstand der Stiftung am Montag. Es sei schlicht »unglaubwürdig, dass es plötzlich weniger Schwerkranke geben soll, die auf ein Organ warten«, so Brysch. Seine Organisation unterstellt, dass die »Regeln in der Praxis viel zu dehnbar sind«.

Tatsächlich landen nicht alle Patienten, die ein neues Organ benötigen, auf der Warteliste. Ist etwa das Risiko des Eingriffs zu hoch und sind die Erfolgsaussichten zudem schlecht, wird der Betroffene nicht berücksichtigt. Das Transplantationsgesetz schreibt aber vor, dass der Arzt die Gründe dafür dokumentiert und sie dem Patienten auch mitteilt. Dabei gelten für jedes Organ die speziell erarbeiteten Richtlinien der Bundesärztekammer.

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