»Schwarzer Sonntag«

Merkel hat es auch diesmal gebracht - Brutus muss noch warten

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Union kam knapp unter der absoluten Mehrheit ins Ziel. Oder kletterte sie nach Redaktionsschluss noch darüber? Merkel kann jedenfalls durchatmen, die Kanzlerschaft ist ihr nicht zu nehmen. Merkels Koalitionspartner FDP ist dagegen raus aus dem Bundestag, auch die Hessen mögen die Partei nicht mehr im Landtag sehen.

Die Übertragungswagen, die rund zweihundert Meter vor dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin in Stellung gegangen waren, standen genau am richtigen Ort. Hier gab es den Jubel, hier wurde gefeiert. Der Begriff »Schwarzer Sonntag« bekommt einen neuen Inhalt. Welch grandioser Sieg! Es gab Bockwurst, Bouletten, Brezeln und Bier. Wer wollte, zog sich auf Falafel zurück.

Während in anderen Parteizentralen gebangt und gerechnet wurde, sammelten sich die Jubeltrupps der Jungen Union in ihren orangefarbenen T-Shirts im Foyer des Adenauer-Hauses. Rasch war es gefüllt. Dann erschien die erschöpfte aber zufriedene Wahlsiegerin Angela Merkel mit ihrem Stellvertretergefolge.

Sprechchöre und rhythmisches Klatschen hob an, als Merkel - wie es Usus ist - den vielen Wahlhelfern in CDU und CSU dankte. Sie versprach zweierlei. Erstens: Die beiden Volksparteien werden weiter erfolgreich zusammenarbeiten. Zweitens: Man werde in den kommenden vier Jahren mit dem »überragenden Vertrauen verantwortungsvoll und sorgsam umgehen«. Für Aussagen zu möglichen Regierungskoalitionen sei es noch zu früh, bat Merkel um Verständnis. Jetzt werde erst einmal gefeiert, denn: »Das haben wir toll gemacht!«

»Das ist ein deutliches Signal, dass Deutschland auch in Zukunft der Stabilitätsanker in der Welt und in Europa bleibt«, verkündete Bundesumweltminister Peter Altmaier. Für Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen. sprengt das Ergebnis alles, was sie sich erhofft habe. Nun könne der »eingeschlagene erfolgreiche Kurs fortgeführt werden«, bedauerlicherweise ohne FDP. Mit wem dann? Sigmar Gabriel oder Cem Özdemir, SPD oder Grüne? Zumindest eine schwarz-grüne Option hätte es nicht leicht bei einem auf Dauer rot dominierten Bundesrat. Aber vielleicht reicht es für die Union auch alleine? Als eine entsprechende ARD-Hochrechnung ins Adenauer-Haus drang, war das Luftschnappen der Funktionäre spürbar. Das wäre ja... Merkel - Super-Woman twitterten die einen, andere verstanden die deutsche Welt nicht mehr.

Stärker stand die Regierungschefin noch nie da. Doch gerade, wenn die Gefahr von außen gebannt ist, wenn die Unionierten sich also nicht mehr schützend wie eine Mauer um »Mutti« versammeln müssen, dann bedeutet das für die Chefin selbst: Vorsicht! Irgendwann regt er sich, der neue »Brutus«. Merkel weiß, wie man so etwas vorbereitet. So hat sie dem Ein-für-alle-mal-Kanzler Helmut Kohl nach 16 Jahren Amtsherrschaft gekippt. Wie lange währt nun ihre Haltbarkeit? Die »Bild«-Zeitung hatte das heimlich-unheimliche Sticheln schon im Vorwahlkampf begonnen: Merkel werde möglicherweise zur Mitte der Legislaturperiode im Sommer 2015 abtreten. Mit 61 und zehn Jahren im Amt.

Bislang hat die Kanzlerin alle, die als Konkurrenten infrage kommen konnten, weggeräumt oder in anderer Weise »erledigt«: Friedrich Merz, Roland Koch, Christian Wulff, Jürgen Rüttgers... Aus Bayern droht - Pkw-Maut hin oder her - seit der Plagiatspleite des »Herrn von und zu« keine wirkliche Gefahr. Verteidigungsminister Thomas de Maiziere liegt drohnengeschädigt am Boden. Die Länderfürsten stehen brav in Reih› und Glied. Sie haben zu tun mit den Problemen der CDU vor Ort. Sogar Thomas Strobl aus Baden-Württemberg, der nicht nur als Schwiegersohn des mächtigen Bundesfinanzministers durchaus eine Berliner Kohorte aufstellen könnte. »Wir haben ein dickes Stimmenpaket für Angela abgeliefert«, sagt der wiedergewählte Abgeordnete. Stimmt. Seine Landes-CDU legte um 12,9 Prozent zu. Wenn sich jemand mit dem Zuwachs der Gesamtpartei schmücken darf, dann ist es Strobl.

Doch noch ist Merkel die unangefochtene Königin in Land und Partei. Was aber für die Kanzlerin auf den ersten Blick innerparteilich das Regieren erleichtern mag, könnte sich für die Union - wie bereits bei dieser Wahl sichtbar - zum Problem entwickeln. Die Partei hat durch das »System Merkel« offenkundig einen Kompetenzverlust erlitten. Und das in einer Zeit, in der das Land nicht nur auf dem Energiesektor Reformen braucht. Bildungsfragen sind ungelöst. Sozial geht es für viele bergab, die Wahlkreuze bei CDU und CSU haben einen gesetzlichen Mindestlohn für sieben Millionen Menschen geblockt. Jugendliche lernen das Wort »Perspektive« hassen. Steuerfragen sind nicht deshalb erledigt, weil die Grünen mit ihren Lösungsansätzen abgestraft wurden. Zahlreiche brisante Themen waren aus dem Wahlkamp total ausgeklammert. Nicht nur die NSA-Spitzelei, die Fragen der Inneren Sicherheit samt Bundestrojaner und Handy-Ortungen schwelen. So wie das Thema Auslandseinsätze der Bundeswehr. Und: Wie lange noch wird man in Europa deutsche Vorherrschaften ertragen? Was hilft es, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gestern Abend versprach: »Europa muss sich wegen der deutschen Wahlen keine Sorgen machen.«

Bislang muss man das Urteil des Wählers anders interpretieren. Noch ließen sich die politischen Fehlstellen der Union durch »Merkel macht‹s« kaschieren. Noch. Noch muss auch »Brutus« warten.

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