Inklusion mit Kostenvorbehalt

AG SPAK lud zum Sozialpolitischen Forum

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Schluss mit Verstecken und Verwahren: Die Arbeitsgemeinschaft Sozialpolitischer Arbeitskreise diskutierte am Wochenende über Alternativen zur Ausgrenzung.

Zum ersten Mal nach fünf Jahren fand am vergangenen Wochenende wieder ein Sozialpolitisches Forum der AG SPAK in Berlin statt. Hinter der Abkürzung verbirgt sich die Arbeitsgemeinschaft Sozialpolitischer Arbeitskreise. Auch wenn sich auf der Fischerinsel in Mitte nur einige Dutzend Menschen vor allem aus den alten Bundesländern zur Diskussion zusammenfanden, wurde engagiert und sachkundig gestritten. Die Arbeitsgemeinschaft hat ihre Wurzeln in der Bundesrepublik der 70er Jahre. Damals begann der Austausch zu sozialpolitischen Themen, zunächst in Arbeitskreisen kirchlicher Studentengemeinden. Es ging um kommunale Arbeit mit Kindern und Obdachlosen, mit Psychiatrisierten und Migranten. Die Schwerpunkte der Projekte wechselten, unter anderem zu Jugendzentren oder dem Forum der »Krüppel- und Behinderteninitiativen«. Schließlich wurde es ruhiger um die AG SPAK, die hauptsächlich in einem Verlag fortlebte, der sich auf alternative Sozialpolitik konzentriert. Bis heute geblieben ist das Engagement mit allen und für alle, die in dieser Gesellschaft an den Rand gedrängt werden, außerdem der Protest gegen jede Kürzung von Sozialetats.

Für das Berliner Sozialforum am vergangenen Wochenende wurde »Inklusion« das Schwerpunktthema. Verstecken, Verwahren, Fördern und Inkludieren - diesen geschichtlichen Gang des Umgangs mit Behinderten postulierte eine diakonische Einrichtung zu ihrem 150. Jubiläum. Eckhard Rohrmann, Erziehungswissenschaftler von der Universität Marburg, verwies auf die gesellschaftlichen Parallelen. Zu ergänzen sei der Begriff »Liquidieren« für die Jahre 1940/41. Die heute geläufigen Begriffe wandelten sich von Integration zu Inklusion und Teilhabe. Doch diesen verbalen Fortschritten ist nicht nur aus Rohrmanns Sicht mit Misstrauen zu begegnen. Wer genauer hinschaut, und das tun viele aus den der SPAK verbundenen Projekten, weiß aus der Realität von Schulen, Werkstätten und Wohnformen: Hier wandelt sich vieles eher zum Schlechteren.

Seit einigen Jahren heißt es für das Gesundheitswesen und insbesondere für Menschen mit Behinderungen enthusiastisch »ambulant vor stationär«. Bald stellte sich heraus, dass damit nur Kostenvorbehalt gemeint war: Die Versorgung sollte billiger werden. Dennoch wachsen die Zahl der Heime und die Menge der in ihnen untergebrachten Behinderten wieder, wohl auch, weil davon viele große Träger profitieren. Die Zahl der Plätze wuchs zwischen 1993 und 2003 um 55 Prozent. 2009 lebten etwa eine halbe Millionen Behinderte in Einrichtungen, 300 000 in eigenen Wohnungen oder bei ihren Angehörigen. Die Heime verbrauchten jedoch von den 13,3 Milliarden Gesamtausgaben zur »Wiedereingliederung« allein 11,6 Milliarden Euro.

Eine ähnliche Entwicklung begann bereits für die Inklusion im Schulwesen. Kinder mit einem speziellen sogenannten »Förderbedarf« sollen auch in Regelschulen unterrichtet werden. Dort bleiben sie allerdings häufig ohne die ausreichende Unterstützung von Assistenten, die für solche Aufgaben sowohl ausgebildet als auch angemessen bezahlt werden müssten. Kaum verwunderlich, dass dann viele Lehrkräfte - selbst wenn sie zu zweit antreten - überfordert sind. In der Konsequenz wird eine Stimmung erzeugt, die eher wieder für das Absondern der behinderten Kinder spricht.

In der Berliner Diskussion gingen einige noch weiter: Auch das dreigliedrige deutsche Schulsystem (das mit den Sonder- und Privatschulen sogar ein fünfgliedriges ist) exkludiere immer noch. Die Schule für alle sei in weiter Ferne. Einer der Teilnehmer wies daraufhin, dass er selbst als Jugendlicher wegen vermeintlich zu geringen IQ nur Bäcker oder Metzger hätte werden sollen. Inzwischen schloss er ein Studium der Erziehungswissenschaften ab, unterrichtet selbst - und kämpft unverdrossen für eine »Schule für alle«.

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