Wahlkampf gegen die SPD-Basis
Tom Strohschneider über die Drohkulisse Neuwahlen und den Wert der Beteiligungsdemokratie
Der Bundespräsident lädt also die Parteivorsitzenden ins Schloss ein, um, wie es heißt, politischen Stillstand nach den Bundestagswahlen zu verhindern. Politiker aus Union und SPD warnen sich gegenseitig und zugleich ihre Parteien vor Neuwahlen, von staatspolitischer Verantwortung ist die Rede, davon dass das Land vor der jeweiligen Partei stehen müsse und dass die Sozialdemokraten, die dafür nun wahrlich keineswegs bekannt ist, nicht immer nur Nein sagen dürften. Eine Unionspolitikerin nennt die geplante SPD-Mitgliederbefragung »Trickserei«, ein SPD-Mann meint, ein Nein der sozialdemokratischen Basis zu einem Koalitionsvertrag mit der Union wäre »konsequentes Harakiri«.
Noch bevor überhaupt Gespräche zwischen Union und SPD angefangen haben, noch bevor überhaupt die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen einer schwarz-roten Regierungszusammenarbeit die Bühne der medialen Preistreiberei und der Vorkämpfe verlassen hat, hat ein neuer, allgemeiner Wahlkampf begonnen: einer gegen die sozialdemokratische Basis.
Steuerpolitik? Betreuungsgeld? Mindestlohn? Mietpreisbremse? Darum geht es mitnichten. Es geht bei all den Warnungen vor Neuwahlen, den vergifteten Ratschlägen und der nun von Gauck betriebenen Symbolpolitik kontra angebliche staatspolitische Instabilität vor allem um eines - um die Errichtung einer Drohkulisse, in der sich die sozialdemokratischen Mitglieder, die über einen möglichen Koalitionsvertrag verbindlich befinden, vor ihrer eigenen Courage fürchten sollen: Nur kein Votum, dass zuallererst auf den sozialen Interessen einer knappen halben Million Sozialdemokraten basiert!
Ein Teil des politischen Geschäfts macht auf diese Weise deutlich, was ihnen die in Schaufensterreden gern beschworene Beteiligungsdemokratie wirklich gilt: nur solange so viel wie nötig, wie das dabei herauskommt, was Parteiapparate auch so unter sich hätten ausmachen können.
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