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Das verlorene Gesicht

Im Kino: »Liberace« von Steven Soderbergh

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 4 Min.

Geschwindigkeit, die schwindelig macht. Valentino Liberace spielte das Piano, als sei es ein Laufwettbewerb. Er war ein Wunderkind, das fehlende Leidenschaft des Spiels durch rasante Perfektion ausglich. Aber auch: der Fleisch gewordene schlechte Geschmack, die wandelnde Maßlosigkeit, ein optischer Albtraum aus Pelz, Perlen und Perücken. Und: ein Prophet des Las-Vegas-Kitsches, ein Entertainment-Genie, das zu seiner Zeit größer als Elvis war. Ein Mann, den die betagten Damen liebten, wie er selber die blutjungen Männer liebte - und dabei manchmal zerstörte.

Auch Scott, dem 17-Jährigen Burschen vom Lande, dreht sich alles, als er Liberace zum ersten Mal sieht: Da rasen dessen Klunker-beschwerten Finger gerade mit einem »16-Bar-Boogie-Woogie« in absurder Schnelligkeit über die Tasten. Durch sein späteres Auftauchen in der Künstlergarderobe bringt Scott jedoch selber ein Karussell zum Rotieren. Für ihn unbemerkt, gehen angesichts der knackigen Konkurrenz subtile Schockwellen durch das Machtgefüge der Superstar-Entourage. Und während »Lee« dem ahnungslosen Scott die ungeschminkte Aufmerksamkeit eines Raubtiers auf Beutezug zuteil werden lässt, sitzt Liberaces künstlerischer (Ex-)Partner bereits abgehalftert am Rande.

Zwischen 1976 und 1982 waren Scott Thorson und der 40 Jahre ältere Liberace ein heimliches Paar. Steven Soderbergh erzählt anhand ihrer Geschichte eine Parabel auf Macht, Abhängigkeit und Einsamkeit. Der Film ist schwul - stockschwul. Doch er ist bei all seinen komischen Szenen weit davon entfernt, ein Tuntenspektakel zu sein. Wer einen »Käfig voller Narren« erwartet, wird mit mehr (über das Schwulenthema weit hinausgehender) Ernsthaftigkeit, ja Weisheit konfrontiert als in allen Macho-Blockbustern des Sommers zusammen.

Michael Douglas und Matt Damon zeigen die besten Auftritte ihrer Laufbahn. Douglas' Liberace ist überlebensgroß, er erdrückt Matt Damons Scott so wie seine ganze Umwelt. Er changiert beängstigend realistisch zwischen zwei Polen: dem manipulativen und sexsüchtigen Konsummonster einerseits, und dem väterlich besorgten »Sugar-Daddy« andererseits. In seiner ersten biografischen Rolle ist Michael Douglas Pfau, Gierschlund, Sonnenkönig, Gönner, Täter und Opfer.

Damon wiederum schafft Größe, gerade indem er sich klein macht. Er reduziert sich auf ein sexuelles Nichts. Seine Wandlung vom naiven Profiteur zum willenlosen, entstellten Opfer ist weniger spektakulär als die Diven-Parts von Liberace. Doch Damon holt aus diesem engen Rahmen beeindruckend viel heraus.

»Liberace« ist ein Beispiel für den Umbruch des Genres. Filme wie »The Iceman«, die auf die große Leinwand gehören, erscheinen hierzulande nur auf DVD, während TV-Produktionen wie »Liberace« in Cannes und im Kino gezeigt werden. Gleichzeitig sorgen nur im Internet und nie im TV gezeigte Serien wie »House of Cards« für Aufsehen bei den Fernsehpreisen Emmy.

So ist es vielleicht vorschnell, die Ablehnung des Stoffes durch alle großen Kinoproduzenten als schwulenfeindlich zu bezeichnen. Wahrscheinlich ist es so, wie Michael Douglas vermutet - dass hier eher ökonomische Ängste und weniger ideologische Scheuklappen motivierend waren. Jene Ängste waren es, die Soderbergh nun entnervt vom Hollywood-Film zum Fernsehen wechseln ließen.

Für seinen TV-Einstand wählte der Regisseur nicht nur stimmige Darsteller, noch für die kleinste Rolle. Er konnte auch auf ein Drehbuch bauen, das selbst im Bettgeflüster der beiden Stars Tiefe, Biografie und Charakter transportiert.

Soderbergh erzählt die Story zunächst als Coming-of-Age-Drama, lässt sie abdriften in eine schrille Komödie und als berührende Tragödie enden. Die Übergänge sind fließend. Langsam und unmerklich schleichen sich die ersten Schatten in die skurrile Glitzerwelt.

Liberace war so begabt, dass er nicht üben musste. Er hatte dreißig Flügel in seinem Haus stehen, die er nicht anrührte. Die überschüssige Zeit und Energie investiert er in Shopping-Exzesse und die Befriedigung seiner Sex-Sucht. Das Pärchen geht kaum vor die Tür. Und so ist der Betrachter ebenso eingeschlossen in diesem Kokon aus »Palast-Kitsch«, wie Liberace seine Ansammlung teurer Hässlichkeiten nennt, die einem schon beim Zusehen die Luft abschnürt.

Später will Scott sich abnabeln, doch es gibt keine Richtung, in die er sich zurückziehen kann. Zu spät merkt er, dass ihn auch gar niemand zurückholen will. Dass er, im Gegenteil, gerade abserviert wird. Da hat er sein Gesicht bereits verloren. Denn Liberace lässt sich nicht nur selber liften, bis er seine Augen nicht mehr schließen kann. Er beauftragt seinen drogenabhängigen Quacksalber auch, Scotts Gesicht zu zertrümmern und nach seinem Ebenbild neu zu modellieren. Die fatale »Hollywood-Diät« jenes Dr. Feelgood, bestehend aus Amphetaminen und Kokain, ist schließlich der Nährboden für die finale Katastrophe.

Die Romanze endet im Drogensumpf, in Schlägereien und Verleumdungen und in Verfahren um Unterhaltszahlungen von über 100 Millionen Dollar, auf die Scott Liberace verklagte.

Schillernder und glamouröser geht es kaum. Doch zuverlässig zähmt Soderbergh die Dramaturgie, hält gerade genug Bodenhaftung, um die (Liebes-)Geschichte nicht dem Spektakel zu opfern. Diese nahezu perfekte Balance zwischen Tiefgang und Entertainment zeichnete bereits einige von Soderberghs Kinofilmen aus. Auf diese Note wird Hollywood künftig verzichten müssen.

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