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In Berlin sah sie keine Zukunft mehr

Die Turn-Olympiasiegerin, Welt- und Europameisterin arbeitet in Norderstedt

  • Lesedauer: 6 Min.

In der DDR war sie als junge Turnerin so populär wie in der BRD eine Steffi Graf. Und wer kennt heute nicht alles über Graf? Aber wer weiß heute noch etwas von Gnauck? Voriges Wochenende beim Festakt »50 Jahre Berliner Turner-Bund« gab es ein Wiedersehen mit Maxi Gnauck, einst dreifache Weltmeisterin am Stufenbarren (1979 1981, 1983), mehrfache Europameisterin und 1980 in Moskau Olympiasiegerin ebenfalls am Stufenbar ren. Die heute 36-Jährige war Ehrengast des Festaktes in der »debis-hall« am Potsdamer Platz. Mit ihr sprach für ND Hans- Jürgen Zeume.

? Sie sind noch immer schlank und rank. Wieviel Gewicht haben Sie heute?

Mein letztes Wettkampfgewicht war 47 Kilo, jetzt wiege ich etwa 53 Kilo.

? Sie verschwanden nach der Wende von der Bildfläche. Wohin verschlug es Sie?

Nach Norderstedt, dort arbeite ich in einem Verbund von drei Vereinen im Kunstturnzentrum Harksheide als Trainerin. Ich betreue ungefähr 50 Turnerinnen im Alter von 4 bis 16 Jahren. Meinen Wohnsitz habe ich in Henstedt-Ulzburg.

? Was bewog die Ur-Berlinerin zum Fortgang Richtung Norden?

Weg gegangen bin ich 1993, weil es zur damaligen Zeit in Berlin nur Kurzzeitver träge, ABM-Stellen und so was ähnliches gab. Das war keine Lösung auf Dauer und

meinem Freund und mir viel zu unsicher, so dass wir uns anderswo umhörten. Es haben sich dann sogar zwei Trainerstellen im Norden ergeben.

? Sind Sie glücklich in Norderstedt?

Was heisst glücklich? Ich habe mich dort eingelebt, komme mit den Menschen gut zurecht, habe neue Freunde gefunden.

? Wann bestritten Sie Ihren letzten Wettkampf?

Bei den Europameisterschaften 1985 in Helsinki.

? Sie waren dreimal Weltmeisterin am Stufenbarren. War das tatsächlich Ihr liebstes Gerät?

Eigentlich nein, aber es war das Lieblingsgerät meines Trainers Jürgen Heritz.

? Ich erinnere mich, dass es zu Ihrer Ver abschiedung 1985 eine große Gala in Cottbus gab. Erinnern Sie sich auch noch daran?

Natürlich. In Cottbus fand ja alljährlich das Turnier der Meister statt. Es war zu DDR-Zeiten immer ein Wettkampf, wo die gesamte Nationalmannschaft mitgeturnt hat, meistens als Qualifikation für EM oder WM. Die Halle war immer voll, das Publikum top. Es war stets ein schönes Gefühl, dort zu turnen. Noch heute fahre ich des öfteren und gern nach Cottbus. Das ist meistens verbunden mit einer Trainer Weiterbildung, die wir alle zwei Jahre absolvieren müssen.

? Turnen Sie heute noch?

Ich habe vor einem Jahr in der Halle noch mal geturnt. Doch dann war ich allein, und es hat mir keinen Spaß mehr gemacht. Ich bin jetzt im Fitness-Studio und halte mich bei verschiedenen Kursen fit. Das macht mir viel Spaß.

? Aber den Kindern turnen Sie doch was vor, einen Handstand oder einen Flick flack?

Solche Sachen natürlich. Den Flickflack kann ich noch, aber nicht ohne vorherige Erwärmung.

? Besuchen Sie noch Turnwettkämpfe? Durch meinen Beruf als Trainerin bin

ich natürlich bei Turnwettkämpfen dabei, zumindest dort, wo meine Turnerinnen dabei sind. Größere Wettkämpfe besuche ich nur gelegentlich. Vergangenes Jahr war ich beim Grand Prix in Cottbus.

? Ehemalige deutsche Fußball-Nationalspieler absolvieren Express-Kurse an der Sporthochschule in Köln, um ihren Trainerschein zu bekommen. Wie war das mit der Trainerlizenz bei Ihnen nach dem Ende Ihrer Lauflahn?

Ich hatte ein Direktstudium in Leipzig begonnen und dort vier Jahre Sportwissenschaft studiert. Mein Spezialfach war Turnen. Ich erwarb schließlich ein Zeugnis als Diplom-Sportlehrer.

? Welchen Wert hat das heute in den alten Bundesländern?

Am Anfang war es ziemlich schwierig mit der Anerkennung. Man hat das Diplom, das ich von der DHfK erhalten hatte, nicht anerkannt. Das ist eine ziemliche Frechheit, denn in Leipzig war die Ausbildung ohenhin darauf gerichtet, künftig im Hochleistungssport tätig zu sein. Man hat sich später dann so entschieden, dass man doch die A-Lizenz als Diplom-Sportlehrer anerkannt bekam, ohne noch einmal neu studieren zu müssen. So war das zumindest bei mir.

? Sie bestritten Ihren letzten Wettkampf mit knapp 21 Jahren. Heute beenden 18- Jährige wie Janina Dube, Samira Jaeger und Katrin Kewitz ihre Lauflahn. Wie finden Sie das?

Es kommt immer darauf an, welchen Leistungsstand man hat. Zu meiner Zeit war das so, dass ich mit 18 Jahren in der Weltspitze geturnt habe und diese Position zwei Jahren behaupten konnte. Heute ist die Situation im deutschen Frauenturnen ganz anders, die Weltspitze ist in weite Ferne, die Mannschaft hat sich nicht für Olympia in Sydney qualifiziert. Nur noch die zwei Besten treten dort als Einzelstar terinnen an. So gesehen glaube ich schon, dass sich die genannten Turnerinnen richtig entschieden haben. Wenn sie noch ein, zwei Jahre länger turnen würden, stellt sich zwangsläufig die Frage: Für welches Ziel trainieren sie?

? Experten haben nach dem Scheitern der deutschen Turnerinnen bei den WM 1999 für Olympia 2000 geschrieben, dass das Problem nicht so sehr eines der Tur nerinnen, sondern eines der Trainer auch im SC Berlin sei, weil dort die Kreativität offensichtlich abhanden gekommen ist.

Das sehe ich anders. Das Problem ist vor allem die Ungewissheit. Kein Trainer weiß, wie lange sein Vertrag läuft. Er weiß nicht, wie lange er noch arbeiten darf. Darunter leidet der gesamte Nachwuchs und seine Entwicklung.

? Aberfrühere DDR-Turnasse wie Roland Brückner, Angelika Hellmann und auch Sie, die alle nach ihrer Lauflahn im Frauenturnen in Berlin tätig waren, könnten es doch heute wieder aktivieren?

Das sind Spekulationen. Wir hatten sehr gute Trainer in der DDR. Zu ihnen gehört auch mein Heimtrainer Jürgen Heritz. Auf solche Trainer greift man einfach nicht mehr zurück, ignoriert ihre Erfahrungen zum Schaden des Frauenturnens.

? Könnten Sie sich vorstellen, ins deutsche Spitzenturnen als Trainerin oder Wissenschaftlerin zurückzukehren ?

Im Moment kaum.

? Und wenn ein lukratives Angebot käme?

Die Bedingungen dafür sind in Deutschland nicht gegeben, dass ein luk ratives Angebot kommen würde.

? Und als Trainerin im Ausland?

Ich habe es mal zwei Monate in Südafrika probiert. Das war 1991. Aber es war halt nur ein Abstecher, von dem ich von vornherein wusste, dass er nichts für längere Zeit Bestand haben würde. Ich bin mehr meinem Land verbunden.

? Wie haben Sie die Gala »50 Jahre Ber liner Turner-Bund« aufgenommen?

Am schönsten war das Wiedersehen mit Birgit Radochla, Karin Janz und Anke Schönfelder sowie mit den Trainern Neidrun Effler, Margot Dietz, Juri Robel und Ralph-Peter Matzk.

? Wie lautet Ihr Wunsch für die nächsten 50 Jahre Berliner Turner-Bund?

Dass es dann noch Frauen-Kunstturnen in Deutschland gibt und ich eine Einladung zur Hundert-Jahr-Feier bekomme, der ich gern folgen würde, vorausgesetzt, es geht mir dann noch gut.

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