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  • Politik
  • Penelope Fitzgerald: »Die Buchhandlung«

Intrigen um «Lolita»

  • Michel Raus
  • Lesedauer: 2 Min.

Person & Werk der inzwischen 84 Jahre alten englischen Autorin Penelope Fitzgerald passt auch in der deutschen Übersetzung genauso prächtig ins «Insel» Sortiment wie etwa Elizabeth von Arnim. Beide bieten den damenhaft feinsinnigen, leicht näselnden Lesestoff, wie er nur auf den britischen Inseln noch gepflegt, doch auch anderswo weiterhin geschätzt werden dürfte.

Penelope Fitzgerald hat bereits mit ihrem 1999 auf Deutsch erschienenen Roman «Die blaue Blume» aufhorchen lassen; nicht einmal die dazu berufenere deutsche Literatur kann sich der einfühlsameren Nachschöpfung einer Gestalt wie Novalis rühmen, dem überhaupt erst die «blaue Blume», das romantische Ursymbol, zu danken ist.

Im Roman «Die Buchhandlung» verlässt Penelope Fitzgerald die literarischen Gefilde zwar nicht vollends, springt aber aus dem tiefsten 19 in die 50er, 60er Jahre des 20. Jahrhunderts und aus der seelischen Poesiemanufaktur in das Milieu einer Kleinstadt im- hinterwäldlerischen Suffolk. Die früh verwitwete Florence Green, ein archetypisch verschrobenes britisches Dämchen mittleren Alters, for dert das Provinznest Hardborough dadurch heraus, dass sie dank einer kleinen Erbschaft und mit einem Bankkredit, aber ohne sonderliche Vorkenntnisse, eine Buchhandlung plant und es sogar durchsetzt, selbige gegen mannigfache Widerstände in dem seit Jahren dahinrottenden Old House einzurichten.

Die Erzählerin weiß die Intrige wider den provinzfremden, herrlich dilettantisch geführten Buchladen noch zeit- und gesellschaftskritisch dadurch zu würzen, dass sich Florence Green von nicht unbedingt literaturkundigen Dritten den Ver kauf von Vladimir Nabokovs seinerzeit als skandalös empfundenem Roman «Lolita» aufschwatzen lässt. Jetzt schlägt endgültig die Stunde ihrer Intimfeindin, der Generalsgattin Mrs. Gamart. Die versucht dem Buchladen zunächst mit dem Argument den Garaus zu machen, Menschenaufläufe vor der «Lolita»-Vitrine gefährdeten die Verkehrssicherheit. Als dieses Vorhaben scheitert, heißt sie ihren tumben Neffen, ein buchhandelsfeindliches Gesetz auszuarbeiten und im Parlament votieren zu lassen - kurzum, man glaubt schier an eine britische Vorweg-Version der EU- Diskussion um die Buchpreisbindung!

Eigentlich stellt diese unerhörte Provinzgroteske höchstens eine Novelle vor, ihr subtiler Witz, ihre umwerfende Komik bezieht die Story freilich weniger aus ihrem Stoff, als aus dem staubtrockenen Ton, in dem sie erzählt bzw. mit Hilfe notarieller Schriftsätze und apodiktischer Geschäfts- und Privatkorrespondenz dokumentiert wird. Durch die Erzählung wieseln und wuseln neben Florence Green und ihrer elfjährigen, völlig amusischen Gehilfin Christine Grippin noch ein paar andere so köstliche Käuze, dass sich eine Lektüre dieses kleinliterarischen Divertimentos zwischendurch auch für Leute lohnt, die nicht unbedingt auf supercoolen britischen Humor ansprechen.

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