Keine Liebesgeschichte

Sebastian Hartmanns »Der geteilte Himmel« an der Volksbühne

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 3 Min.
Christa Wolfs erste große Heldin Rita habe ich mir beim Lesen immer vorgestellt als einen Engel vor dem Fall. Ganz gläubig, ohne jene Bitternis, die doch schon draußen vor der Tür steht. Vielleicht ein bißchen zu sehr Papier-Heldin, um wirklich lang und tief in uns fortzuleben. »Der Geteilte Himmel« ist ein Buch des »Bitterfelder Weges«, ein Aufbau-Buch voll Nachmauerbautrotz: Jetzt muss es doch besser werden, ehrlicher und fantasiebegabter! Wurde es aber nicht, oder nur ganz kurz und zaghaft bis zum 11. Plenum 1965. Aber »Der geteilte Himmel«, das sagt schon der Titel, ist mehr als Christa Wolfs Beitrag zur Sozialismus-Diskussion. Es ist ein Buch über den Trennungsschmerz, der selbst noch den Himmel aufreißt, Verluste, nach denen man nicht leichthin zur Tagesordnung übergehen kann. Eine Liebesgeschichte schließlich, die in die Mühlen politischer Windräder gerät. Deutsche Geschichte in einer Momentaufnahme ihrer Selbstillusionierung. Ein nur noch historischer Text? Nein, er bleibt ohne Peinlichkeit lesbar, hat historische Wenden überstanden, weil Christa Wolf Rita in all ihrer Hilflosigkeit und Naivität nicht verrät. Dem »Neuen Deutschland« hat das Buch bei seinem Erscheinen 1963 gar nicht gefallen. In Sebastian Hartmanns Volksbühneninszenierung spielt Cordelia Wege Rita, wie man sie sich nicht vorstellt. Mitunter ist gerade das an- oder aufregend. Hier nicht. Denn Hartmann macht Rita zur Karikatur. Und Cordelia Wege fügt sich. Sie hampelt wie eine Marionette mit Funktionsstörungen zu russischer Volksmusik über die Bühne oder zieht sich nackt aus, um sich dann mit roter Farbe anzustreichen. (Welche Symbolik!) Wir sehen von Hartmann nachgedrehte Filmszenen der Konrad-Wolf-Verfilmung von 1964, die an Infantilität nichts zu wünschen übrig lassen. Dazwischen immer wieder Cordelia Wege in Großaufnahme mit Schlafzimmerblick, startende Sputniks oder ein Herricht-und-Preil-Sketch aus der Konserve. Alles nach Belieben gemixt. Die Drehbühne rast, als stünde sie unter Drogen, man schreit und rennt orientierungslos über die Bühne, denn nicht nur die Zuschauer scheinen nicht zu wissen, wer hier was spielt, sondern auch die Schauspieler nicht. Eine Liebesgeschichte findet an diesem Abend jedenfalls nicht statt. Einen einzigen wahren Satz hörte ich: »Hier passiert nie etwas Lebendiges.« Es kommt einiges zusammen. Handwerkliches Unvermögen, Gedankenfaulheit, Eitelkeit. Warum nimmt Hartmann sich dann diesen Stoff, wenn er ihn doch so überhaupt nicht interessiert? Wenn er doch wenigstens wie Thomas Brussig in »Helden wie wir« an Christa Wolf offensiv seinen Mutterkomplex abarbeiten würde, das wäre dann ja wenigstens schon mal was. Aber nicht einmal das. Da war Geld für eine Inszenierung da, und das musste weg. Kann es sich die Volksbühne leisten, Gegenwartsstoffe - mal dahingestellt, wie gegenwärtig »Der geteilte Himmel« als Theaterstoff wirklich ist - so zynisch wegzuhauen? Hier passiert der Skandal nicht auf der Bühne, wie es Volksbühnenphilosophie ist, sondern dahinter. Über zweieinhalb Stunden dauert dieser Leerlauf, der nie eine Theater-Absicht hatte, bloß sinnlose Langweile ist, die sich auf der Bühne dick und breit macht. Vor gut drei Jahren sah man von Sebastian Hartmann, damals noch Freie-Szene-Regisseur, im Tacheles »Kalter Plüsch« (bereits mit Cordelia Wege). Es war eine ungewöhnliche kleine Regiearbeit, die Talent verriet. Er ging (mitsamt Cordelia Wege) an die »Volksbühne«, zertrümmerte erfolgreich Ibsens »Gespenster« in Castorf-Manier, jedoch ohne dessen Psychologie. Auf den ersten Blick sah das nicht schlecht aus, war aber wohl vor allem das Verdienst der überragenden Sophie Rois als Frau Alving. Danach begann Sebastian Hartmanns schneller Abstieg in den Jet-Set-Ruhm. Routiniert kam die seelen- und ideenlose Stückevernichtungsmaschinerie auf Touren. Wie es vor einem Jahr Leander Haußmann mit »Die Legende von Paul und Paula« vormachte. Ost-Buchtitel (mehr bleibt nicht übrig) als Ost-Party-Background! Mit so was schiebt sich die Ost-Volksbühne expressartig ins Museum. Sebastian Hartmann inszeniert jetzt in Wien und geht, so hört man, bald als Oberspielleiter ans Schauspielhaus Hamburg. Danke Hamburg!

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