- Politik
- Der Tod des Henkers von Riga
Ein Mörder wird ermordet
Von Günther Schwarberg
Fünf Männer wollen einen sechsten töten. Sie bereiten sich penibel darauf vor, ehe sie ihr Opfer in der Falle haben. Dann schlagen sie ihn mit einem Vorschlaghammer auf den Kopf und schießen ihm zwei Revolverkugeln in die Schläfe. Schließlich packen sie die Leiche in eine vorbereitete Kiste und verschwinden. - Das ist kein Krimi. Es ist geschehen am 23. Februar 1965 um 12.30 Uhr in einem Haus in der Calle Cartagena in Montevideo, Uruguays Hauptstadt, und wird geschildert in dem Buch »Der Tod des Henkers von Riga«. Soll man es sich antun, so etwas zu lesen?
Der Getötete war einmal SS-Kommandant in Lettland und hat im Ghetto von Riga 30 000 Menschen umgebracht. Die fünf Täter sind Angehörige der Opfer und nennen sich »diejenigen, die niemals vergessen«. Offiziell hat der Staat Israel nichts mit ihnen zu tun. Aber ihre Professionalität haben sie beim Geheimdienst Etzel gelernt. Einer von ihnen gibt sich als der österreichische Kaufmann Anton Künzle aus. In Wirklichkeit ist er der Sohn eines jüdischen Arztehepaares aus Deutschland, den richtigen Namen erfährt man nicht. Sein Vater ist in Theresienstadt er mordet worden, seine Mutter in Auschwitz. Er sucht und findet den Ghetto- Mörder in einem Vorort von Sao Paolo in Brasilien. Dort lebt er unter seinem Namen Herbert Cukurs und betreibt ein kleines Lufttaxi. Der angebliche Österreicher befreundet sich mit ihm und stellt ihm ein großes Geschäft mit Touristen in Aussicht. Schließlich überredet er ihn zu einer Reise nach Uruguay. Ein Kommando hat dort die Hinrichtung vorbereitet. Auf den toten Körper legen sie einen Brief: »Aufgrund der schweren gegen Herbert Cukurs er hobenen Anklagen und wegen seiner per sönlichen Verantwortung für den Mord an 30 000 Männern, Frauen und Kindern und insbesondere wegen der schrecklichen Grausamkeit, die er bei der Ausführung seiner Verbrechen demonstrierte, haben wir beschlossen, über den Angeklagten Cukurs das Todesurteil zu sprechen. Es wurde am 23. Februar 1965 durch >diejenigen, die niemals vergessen< vollstreckt.«
Alle kehren heil nach Israel zurück. Anton Künzle sagt am Schluss seines Buches: »Wenn meine Enkel mich eines Tages fragen: >Opa, worauf bist du am meisten stolz?<, dann erzähle ich ihnen von meinem Anteil an dieser komplizierten und schwierigen Operation zur Begleichung einer Rechnung mit dem >Henker von Riga<.«
Ist es wirklich damit getan, eine Rechnung zu begleichen? Faschismus ist doch viel mehr, und wie man sieht, wächst so etwas nach. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Die fünf Täter haben geglaubt, sie hätten mit ihrer Tat das Gewissen der Welt geschärft. Anton Künzle schreibt: »Nur vier Tage waren vergangen, seit die Polizei von Montevideo in die Villa in der Cartagena-Strasse eingedrungen war und Cukurs Leiche gefunden hatte. Unzählige Zeitungsartikel waren inzwischen über den Fall geschrieben worden, und alle Autoren, ausgenommen einige unverbesserliche fanatische Faschisten, bekundeten ihr Verständnis für die Motive derjenigen, die niemals ver gessen<.« Er glaubt, mit ihrer Tat hätten sie auch die Verjährungs-Debatte im deutschen Bundestag beeinflusst. Am 8. Mai 1965 sollten alle Morde verjähren, auch der Holocaust. Doch die Verjährungsfrist wurde aufgehoben, und Künzle kommentiert: »diejenigen, die niemals vergessen< hatten einen großen Anteil daran, dass es keine Verjährung und keine Gnade für Verbrecher wie Cukurs gab.«
0 nein, so war es nicht. Ich glaube, dass in Deutschland bis heute nur sehr wenige Menschen von der Hinrichtung des Her bert Cukurs wissen, und dass dessen Tod die Verjährungs-Debatte nicht beeinflusst hat. Und wer glaubt, in Deutschland gebe es »keine Gnade« für Verbrecher wie Cukurs, der kennt die bundesdeutsche Justiz nicht. Mit wie viel Tricks, mit welcher Lahmheit sind Verfahren gegen Nazimör der in die Länge gezogen oder gar nicht erst begonnen worden. Und wie wenige Verbrecher wurden überhaupt bestraft! Seit sechzehn Jahren beispielsweise zieht die Staatsanwaltschaft Lübeck ein Verfahren in die Länge, in dem es um die Ermor düng von mehr als 300 Frauen, Männern und Kindern am 3. Mai 1945 am Strand der Lübecker Bucht bei Neustadt geht. Ein noch lebender verdächtiger Marineangehöriger ist bis heute nicht einmal staatsanwaltschaftlich vernommen worden.Vor diesem Hintergrund sollte man es sich vielleicht doch antun, solch ein Buch kritisch zu lesen.
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