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Unverzichtbarer wirtschaftlicher Fortschritt

  • Lesedauer: 4 Min.

Zur Debatte um »Kritische DDR- Vordenker nicht vergessen« von Hans-Georg Draheim (14. 9.):

Draheims Grundgedanke: Soziale und ökologische Ziele, die im Positionspapier der PDS formuliert sind, bedürfen einer hohen wirtschaftlichen Effizienz. »Wirtschaftlicher Fortschritt ist und bleibt die Grundvoraussetzung für sozialen und ökologischen Fortschritt«, schreibt er. Diese These ist nicht umkehrbar, sollte man hinzufügen. Man muss sich also klar zu wirtschaftlichem Fortschritt bekennen, wenn letztendlich die Durchsetzung sozialer und ökologischer Interessen der Gesellschaft als Ziele sozialistischer Politik formuliert werden.

Und hier liegt das Problem, auf das Draheim hinweist: Ist eine Forderung nach »grundlegender Veränderung von Eigentumsinteressen« in der Gegenwart realistisch, in der die PDS an politischem Einfluss weiter gewinnen und ihr Wählerpotential vergrößern will? Ist es etwa unzeitgemäß und unmarxistisch, wenn im der zeitigen Reifestadium der kapitalistischen Wirtschaft von Draheim gefordert wird, die viel komplizierteren Eigentumsverhältnisse und die daraus hervorgehenden ökonomischen Interessen in Rechnung zu stellen? Kann man Handwerkern und kleinen Mittelständlern ihre wirtschaftliche Grundlage entziehen, kann man abhängige Erwerbstätige oder Ruheständler, die über Aktienkauf Anteile am Produktivvermögen erwerben, mit der Forderung nach grundlegender Veränderung der Eigentumsverhältnisse als Befür worter linker Politik gewinnen?

Wirtschaftlicher Fortschritt wird aber auf absehbare Zeit nicht als Resultat der Verketzerung von unternehmerischen Gewinninteressen und der Veränderung der Eigentumsstruktur erzielt. Es gilt vielmehr, Eigentümer und Gewinninteressen als einen Träger wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fortschritts anzuer kennen und zu nutzen.

Diese Position ist aber offensichtlich unter den Linken nicht unumstritten. Im praktischen Kampf um demokratische Refor men durch »Revolution mittels Stimmzettel« kommt man jedoch daran nicht vorbei. Sich zu dieser Grundposition zu bekennen, heißt aber, sich stärker auf die »kritischen DDR-Vordenker« zu stützen und an ihre Vorstellungen zur »kontrollierten Nutzung des Marktmechanismus in Verbindung mit einer indirekten Wirtschaftssteuerung, wie Preis- und Geldpolitik« (Draheim) anzuknüpfen. Dass eine nicht auf der Nutzung hoher wirtschaftlicher Effizienz beruhende Sozialpolitik zum Scheitern verurteilt ist, ist eine Erfahrung der sozialistischen Planwirtschaft.

Wie die Zuschriften von Behrend, Enderlein und Mai auf den Beitrag von Draheim zeigen, wird das durchaus noch nicht in dieser Konsequenz akzeptiert. Noch werden eher die »Spaltungsdisproportionen« (Energiebasis, Kapazitäten der Grundstoffindustrie) beim Aufbau der DDR- und BRD- Wirtschaft, die ungleiche Belastung mit Reparationen, der Verlust der DDR an Humankapital u. a. als die Ursachen angesehen. Zweifellos haben diese den Aufbau der DDR-Wirtschaft ungeheuer er schwert. Draheim bringt es aber auf den Punkt, wenn er wirtschaftliche Ineffizienz und starre zentralistische Wirtschaftsführung als Hauptursachen dafür anführt, dass »der anfängliche Gleichstand im Produktivitätsund Lebensniveaus mit Westdeutschland« verspielt wurde. Als einen wesentlichen Ausdruck der von wirtschaftlicher Effizienz abgekoppelten Sozialpolitik führt Draheim 140 Milliarden Mark Geldüberhang zu Ende der DDR an, was keinesfalls eine »Luftnummer« ist, wie K. Mai meint.

Für die Berechnung des Kaufkraftüberhangs in der DDR ist die zu diesem Zeitpunktd 989/90) in ihrer wirtschaftlichen Effizienz überlegene BRD die Bezugsgröße - eine legitime Methode, um zu einer wissenschaftlichen Bewertung der auch zu DDR-Zeiten viel diskutierten Geldmenge, für die man nichts kaufen konnte, zu kommen.

Wenn man den Bargeld- und Sichteinlagenbestand der Haushalte der DDR auf 183,1 Milliar den Mark schätzt und den Konsumgüterausgaben der Haushalte in Höhe von 162,1 Milliarden Mark (Angaben aus verschiedenen Quellen für 1988, auf das Jahr 1989 hochgerechnet) gegenüberstellt, so ergibt sich ein Koeffizient von 1,13. Der vergleichbare Koeffizient für die Haushalte der BRD betrug 0,27 Unterstellt man nun, die Haushalte der DDR hätten ihre Konsumgüterausgaben mit dem Koeffizienten der effizienten BRD-Wirtschaft (0,27) realisieren können, so wären nur 43,8 Milliarden Bargeld- und Sichteinlagenbestand erforderlich gewesen. Die Differenz zum tatsächlichen Bargeld- und Sichteinlagenbestand der Haushalte der DDR (183,1 Milliarden Mark) betrug folglich 139,3 Milliarden Mark, also die rund 140 Milliarden Mark Kaufkraftüberhang, die Draheim anführt. Mangelndes Warenangebot bei hohem Kaufkraftüberhang erklären so lange Wartezeiten auf Pkw und andere hochwertige Güter als Ergebnis einer verfehlten Preis- und Geldpolitik in einer er starrten zentralistischen Planwirtschaft.

Prof. Dr. Robert Hahn 04317 Leipzig

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