Im Schatten der Schädel

Warum Dutzende Initiativen einen Baustopp für das Humboldt-Forum fordern

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.

Mächtig und quadratisch wachsen nun die Tatsachen heran: In Berlins Mitte hinter der »Humboldt-Box« entsteht das Preußenschloss als »Humboldt-Forum« auf gewaltigen Fundamenten. Ebenfalls quaderförmig, wenn auch viel handlicher, ist das Gegenstück zu dem Ensemble in Mitte, das am Samstag in der Galerie des August-Bebel-Institus im Kurt- Schumacher-Haus an der Müllerstraße präsentiert wurde: Die »Anti-Humboldt-Box«, ein anthrazitfarbener Koffer, der in Bild, Ton, Film und Endlosschleife argumentiert, weshalb die Bauarbeiten ausgesetzt werden sollten. Das fordern inzwischen mehrere Dutzend Organisationen, die ein entsprechendes Moratorium unterzeichnet haben - vom Zentralrat der Afrikanischen Gemeinde in Deutschland über den Solidaritätsdienst International (SODI) bis hin zu eher kunstpolitischen Initiativen wie »Alexandertechnik«, deren seit Jahren andauernde Kampagne gegen das »Forum« im Koffer dokumentiert ist, und der Gruppe »artefakte/anti-humboldt«, die den Kritikkasten konzipiert hat.

Das Eindrücklichste an dem Koffer sind freilich nicht die Filmaufnahmen von Podiumsveranstaltungen oder die ausklappbaren Fotos, sondern die beiden Totenschädel, die neben einem Kopfhörer in der Kiste liegen. Natürlich stammen sie aus dem Fachhandel und nicht vom nächstbesten Friedhof - und doch erinnern sie drastisch daran, unter welchem Vorzeichen das »Humboldt-Forum« steht, auch wenn dies in Berlin niemand hören will.

Noch bis 2011 lagerten in Berlin nämlich 20 echte Totenschädel, die von deutschen »Südwest«-Kolonialherren nach dem Gemetzel an den Nama zu Beginn des 20. Jahrhunderts »gesammelt« worden waren, um daran »rassekundliche« Untersuchungen vorzunehmen. Noch ihre Rückgabe geriet zum Desaster: Unter Unmutsbekundungen der angereisten 60-köpfigen namibischen Delegation hielt die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper (FDP), eine Rede, in der eine Entschuldigung einmal mehr - wohl aus Angst vor Reparationsforderungen - ausblieb. Pieper schien damals gar nicht zu verstehen, wie ihr geschah. Sie verließ fluchtartig den Saal.

Nun gehörten diese »Bestände« nie zum Fundus der ethnologischen Sammlungen, die ins Humboldt-Forum ziehen sollen, sondern zur »anthropologischen« Sammlung der Charité. Doch gibt es auch in den Dahlemer Beständen menschliche Überreste wie mumifizierte Hände oder Schrumpfköpfe. Vor allem aber symbolisieren die Totenschädel das Kardinalproblem westlicher »völkerkundlicher« Sammlungen.

Es geht dabei erstens um die handfeste Frage des »rechtmäßigen Erwerbs« von Gegenständen unter den Bedingungen kolonialer Regimes - und zweitens um die Parameter, die seinerzeit das »Sammeln« überhaupt anleiteten. Die Ethnologie ist nicht zufällig parallel zum Kolonialismus entstanden, sondern als Kolonialwissenschaft. Gleichgültig, ob sie »den Wilden« kühl zoologisch vermaß oder zum menschlichen »Naturzustand« verklärte, ist der eigentliche Angelpunkt des klassischen völkerkundlichen Konzepts, was die Wiener Museologin und Kulturtheoretikerin Belinda Kazeem bei der Premiere der Anti-Box »die Konstitution des westlichen, weißen Selbst« nannte: Am »Anderen«, das in exotischen Ländern zu erfahren war, erkannten sich die kolonialen Gesellschaften letztlich selbst in ihrer Überlegenheit. Schließlich ist auch der »westliche« Nationalismus nicht ohne Konsequenzen ein Kind des kolonialen Zeitalters gewesen.

Auch die Dahlemer Sammlungen, die ins Humboldt-Forum sollen, sind in vielerlei Hinsicht problematisch. Schon die »Benin-Bronzen«, die als »Schmuckstücke« der Sammlung gelten dürfen, sind nämlich kaum anders denn als Raubgut zu bezeichnen - auch wenn die Räuber nicht aus Berlin kamen. Dass die rituellen Statuen im Zuge des britischen Überfalls auf das Königreich Benin 1896 angeeignet wurden, wird gar nicht bestritten; nach Dahlem gelangten sie nach einer regelrechten Beuteversteigerung in London. Wer ist nun der »rechtmäßige« Eigentümer?

Seit Jahren fordern nigerianische Wissenschaftler und Offizielle eine Rückgabe unter anderem dieser Statuen - was man in Berlin indes nicht mitbekommen haben will. Obwohl 2008 der nigerianische Kulturminister eigens nach Berlin kam, um einen Plan zur Rückgabe von Objekten aus dem Benin-Überfall in den Nachfolgestaat Nigeria zu fordern, ließ Kulturstaatssekretär André Schmitz auf eine parlamentarische Anfrage der Berliner Grünen mitteilen, es habe bisher keine konkreten Rückgabeforderungen gegeben. Zum Hintergrund gehört, dass die Benin-Bronzen hochsensibel sind für den »Preußischen Kulturbesitz«, da die Dahlemer Sammlungen unzählige Artefakte aus dem Benin-Überfall erworben haben - und sich nicht zuletzt deshalb der weltweit größten Benin-Sammlung rühmen können: Ein Präzedenzfall hätte also womöglich gewaltige Auswirkungen.

Die ideologischen Probleme derartiger Sammlungen erfahren neuerdings etwas mehr Aufmerksamkeit. Belinda Kazeem berichtete am Samstag etwa von den Auseinandersetzungen um das Wiener Völkerkundemuseum, das 2013 etwas eilig zum »Weltmuseum« umfirmiert wurde, um diesen exotistischen Ruch zu neutralisieren. Die Mitherausgeberin einer kritischen Textsammlung über »das Unbehagen im Museum« sieht derzeit zwar immerhin eine gewisse Verunsicherung aufseiten der Sammlungsverwalter, doch wisse niemand, wie weiter zu verfahren sei.

Ihre eigene Antwort ist radikal: Belinda Kazeem fordert nichts weniger als das Ende ethnologischer Sammlungen, wie wir sie kennen. Vielleicht geht es auch nicht ganz so grundsätzlich, doch so wenig wie um die Besitzfragen werden ethnologische Museen im 21. Jahrhundert um eine kritische Geschichte des Ethnologisierens und Sammelns herumkommen. Gerade dann, wenn der angebliche Traum etwa der Humboldt-Forum-Fans wahr werden sollte und sich tatsächlich einmal Nachfahren der »Gesammelten« einfänden.

Informationen zum Moratorium im Internet unter www.no-humboldt21.de.

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