So viel Heimlichkeit...

Gabriele Oertel über Geheimnisse im koalitionären Vorgeplänkel

  • Lesedauer: 2 Min.

So viel Heimlichkeit, in der Weihnachtszeit. Spätestens jetzt wird klar, warum die ziemlich wahrscheinlichen künftigen Koalitionäre ihre Verhandlungen zeitlich so genüsslich ausgedehnt haben. Sie haben vermutlich schon Ende September darauf spekuliert, dass ihr bisweilen allzu heftig von Nächstenliebe geprägtes Tun in Zeiten allgemeiner vorweihnachtlicher Zutraulichkeit als ganz und gar passend empfunden wird. In den allgemeinen Vorbereitungen für das Fest der Liebe würde jede verbale Lieblosigkeit beim Publikum gar nicht gut ankommen. Das hat sogar CSU-Chef Seehofer begriffen.

In die erste Adventswoche jedenfalls starteten Union und SPD deshalb nur mit einem zögerlichen Türchenöffnen. Was freilich nichts daran änderte, dass eine ihrer Heimlichkeiten - die mit dem Koalitionsvertrag parallel vereinbarten Geheimabsprachen über künftiges gegenseitiges Wohlverhalten bei Abstimmungen im Bundestag, auf europäischer Ebene und bei Stellenbesetzungen der Bundesregierung - doch öffentlich wurde. Und bei der ohnehin nur mit suboptimaler Stärke ausgerüsteten Opposition auf wenig Gegenliebe stießen.

Auch eine andere Heimlichkeit sorgte kurz vor dem Nikolaustag zumindest in der SPD-Zentrale dafür, dass sich einige Spitzengenossen tüchtig auf die Schuhe getreten fühlten und sogar zu einer Anzeige gegen Unbekannt ausholten. Da erhielten kritische SPD-Mitglieder, die das Basisvotum für das hielten, was der Name verspricht und es zum Widerstand gegen die allzu große Geschmeidigkeit ihrer Parteiführung gegenüber der Union nutzen wollten, angeblich aus dem Berliner Willy-Brandt-Haus kommende Drohanrufe. Spätestens als sich eine Gruppe mit Namen »Kommando Gerhard Schröder« zu der Aktion bekannte, dürfte allen Beteiligten klar gewesen sein, dass es sich bei der Aktion nur um Satire handeln kann.

Schließlich wissen die Angerufenen wie die vermeintlichen Anrufer, dass sich der Ex-Kanzler mit derlei Gedöns wie Einzeltelefonaten nicht abgegeben hätte. Schröder hat einmal »Basta« gesagt und das musste reichen, um die Genossen auf Vordermann zu bringen - und in den Umfragekeller zu führen. Und weil der Niedersachse damit so erfolgreich war, muss er auch jetzt wieder ran. Gestern hat er den Wankelmütigen in seiner Partei eine ganze Anzeigenseite per »Bild« in die frischgeputzten Stiefel gesteckt, um sie zur Zustimmung zum Koalitionsvertrag zu bewegen. »Immer hat es den Menschen gut getan«, schreibt Schröder mit neun anderen ehemaligen SPD-Größen, »wenn die SPD die Zukunft unseres Landes in der Regierungsverantwortung mitgestaltet hat«. Es wird das Geheimnis von Gabriel und den Seinen bleiben, warum sie sich eine solche Hilfe organisierten, die das Zeug zum Bumerang hat.

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