Mehr Witz, mehr Bewegung
Komische Oper Berlin: Sebastian Weigle dirigierte Haydn, Bredemeyer und Beethoven
Schön, und klug ausgesucht das Programm dieses Sinfoniekonzerts an der Komischen Oper. Zwei Schwergewichte fassen einen toten, keineswegs leichtgewichtigen Zeitgenossen ein. Reiner Bredemeyer steht mit seinen »Bagatellen für B« zwischen Haydn und Beethoven, der »Sinfonie mit dem Paukenwirbel« und der »Eroica«, als gäbe es kein Entrinnen. Der Richtige im Falschen?
Die Position hätte ihn unsäglich gefreut. Unsäglich, weil er doch selbst bei den großen Meistern immer »falsche Töne« zu hören vermeinte. Sinfonien von Beethoven klangen für ihn, keinesfalls nur einzelne Themen oder Sätze, ganz unrichtig. Schuberts »Winterreise« hörte er, als würde diese geradezu nach Veränderung schreien. Darum komponierte Bredemeyer eine eigene »Winterreise«. Heinrich Schütz schien ihm viel zu ernst, als dass der unbearbeitet aufzuführen sei. Da müsse Witz, mehr Bewegung rein, weswegen »Brede« ziemlich rasch eine »Schützenfestmusik« auf Motivteilchen des Barock-Recken schrieb. So knurrig-kritisch war er nun mal. Deswegen mussten im Beethoven-Jahr 1970 keine Gewalthymnen, sondern Bagatellen auf den Jubilar kommen, ein Orchesterwerk mit obligatem Klavier, streng gesehen verdeckte Kammermusik, Musik wider die gängige Orchesterlogik.
Mit dem »B«, obwohl der Bezug offenkundig ist, meinte er wohl den Anfangsbuchstaben seines eigenen Namens. Gleichviel. Das Fünf-Minuten-Stück, es spielt mit Akkorden und Motiven aus der »Eroica« und Klavierbagatellen Beethovens, ist waschechtes Produkt des Kombinatorikers Bredemeyer: originell, eigenwillig, geplant-willkürlich, launig, überraschend, klangsinnlich, zitatfreudig, schamlos witzig. Hier zeigt die Handhabung der Collagetechnik ihren wirklichen Wert, indem sie der »großen Musik« frische Luft entgegenbläst.
Austreibung des »Symphonismus« ist Aspekt von sämtlichen orchestralen Entwürfen Bredemeyers. In der Mehrzahl realisieren sie kombinatorische, den Raum durchmessende Konstruktions- und Aufführungsideen. Der große Musiksaal, seit je von Sekurität und Allmacht durchdrungen (die freilich verblasst ist), hat die Antisymphonismen des Künstlers unklugerweise nur selten zum Zuge kommen lassen. Diesmal hat es endlich geklappt und ist hoffentlich Durchbruch.
Gut eingestellt auf die Klippen und Schründe dieses herrlich formulierten Gebildes das Hausorchester der Komischen Oper unter Sebastian Weigle. Souverän der Pianist Matthew Toogood. Die montierten plötzlichen Knalleffekte, die stufen- und ruckartigen Reduzierungen des Apparats, die lieblichst abschnurrenden Klaviergirlanden, sie münden in harsches Klangraunen oder entsteigen diesem, all das gelang vorzüglich. Am Ende gemessener Beifall eines schmunzelnden Publikums.
Wenn die Erinnerung nicht trügt, hat das Werk seinerzeit mehr Vergnügen bereitet als jetzt. Bei der Uraufführung in der Deutschen Staatsoper Berlin 1971 schienen die Leute bald von den Sitzen zu springen und erzwangen eine Reprise. Damals musizierte die Staatskapelle unter Otmar Suitner. Das Piano spielte Walter Olbertz.
Dem Eröffnungswerk, der »Sinfonie mit dem Paukenwirbel« von dem mit Weisheit geschlagenen Haydn ist nichts Unangenehmes nachzusagen, außer dass es sein vorletzter, etwas müder sinfonischer Wurf ist, selbstredend Kühnheiten darin nicht vorzufinden sind. Die finden sich anderswo. Hier ist es der »Papa Haydn«, der die Feder geführt hat. Dementsprechend ging das Werk auch normal gemütlich ab, ohne Schwierigkeit für Dirigent und Orchester.
Anders der Beethoven. Zur »Eroica« selbst ist hier nichts weiter als zum hundertsten Male zu sagen, dass sie ein grandioses Kunstwerk ist. Allein: Immer weniger Menschen nicht nur hierorts wissen oder bemerken das offenbar. Die Konzertabende zeigen überwiegend Populationen, die auszusterben scheinen. Wer rückt nach? Die Frage steht schon seit 100 Jahren und länger, eigentlich, seit die Zerstreuungsindustrie heraufgekommen ist und die menschlichen Hirne, seien sie noch so widerständig, in ihren Bann zieht.
Sebastian Weigle dirigierte das Werk hochkonzentriert, und die Orchestranten folgten ihm in jeder seiner Gesten. Weigles eigentümlichen Dirigierstil zu beschreiben, lohnte sich allemal, muss aber auf später verschoben werden.
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