Attacke auf den Atomausstieg

Trotz Stromexport-Rekord: Wirtschaft und Politiker in Bayern denken laut über längere Laufzeit für AKW Grafenrheinfeld nach

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Nachdem Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag der Energiewende bereits Fesseln angelegt haben, folgt nun direkt ein Angriff auf deren Herzstück - den Atomausstieg.

Der Vorstoß kommt aus Bayern. Dort steht das AKW Grafenrheinfeld bei Schweinfurt laut Ausstiegsgesetz Ende 2015 als erstes der noch neun laufenden Atommeiler zur Abschaltung an. Die Wirtschaft des Freistaates warnt mit Blick auf diesen Termin schon jetzt vor Stromengpässen. Die Lage habe sich im vergangenen Jahr nicht verbessert, sondern im Gegenteil weiter verschärft, sagt der Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), Alfred Gaffal.

Nach einer Abschaltung von Grafenrheinfeld werde die Situation noch problematischer. Wenn bis dahin nicht ausreichend Leitungen gebaut seien, drohe eine Versorgungslücke. Er habe Zweifel, dass der Ausbau rechtzeitig gelinge, sagt Gaffel. »Im Notfall« müsse geprüft werden, ob die Laufzeit des Atomkraftwerks nicht verlängert werden sollte, bis die Leitungen fertig sind.

Die frisch ins Landeskabinett berufene Wirtschaftsministerin Ilse Aigner sekundiert Gaffal und kündigte einen Neustart für die Energiewende im Freistaat an. »Wir werden auf alle Fälle das Energiekonzept überarbeiten«, erklärte die CSU-Politikerin. So müsse Bayern unter anderem klären, ob die Grundannahmen im mehr als zwei Jahre alten Programm für den Atomausstieg noch realistisch seien.

Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sieht derzeit keinen Grund zur Aufregung: Die bayerischen Atomkraftwerke würden »wie geplant abgeschaltet«, beschwichtigt er. Die beiden noch betriebenen Blöcke des AKW Gundremmingen wären nach dem Ausstiegsbeschluss 2017 bzw. 2021 an der Reihe, das AKW Isar 2 bei Ohu würde 2022 als einer der letzten Meiler in Deutschland vom Netz genommen. Allerdings haben die Stromkonzerne RWE und e.on für die Gundremminger Reaktoren gerade eine Leistungserhöhung beantragt. Statt wie bislang 3860 Megawatt sollen sie künftig 4000 Megawatt elektrische Leistung bringen.

Die Ausbau- und Ausstiegs-Verzögerungs-Vorhaben erscheinen unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit absurd. Denn der Stromexport aus Deutschland ist weiterhin auf Rekorniveau. Rechnerisch laufen drei der neun Atomkraftwerke in diesem Jahr allein für das Ausland.

So hat die Bundesrepublik nach Analysen des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) vom Jahresbeginn bis Mitte November 23 Milliarden Kilowattstunden mehr exportiert als importiert. Damit ist bereits der Exportsaldo des gesamten Jahres 2012 überschritten, der bis dahin der höchste der deutschen Stromgeschichte war. Bis zum Jahreswechsel dürfte die Summe auf 30 Milliarden Kilowattstunden ansteigen. Das entspricht der Jahreserzeugung von drei großen Atomkraftwerken - theoretisch. Konkret übertraf der Stromexportüberschuss sogar die Stromproduktion der vier bayerischen Atomkraftwerke, die in dem genannten Zeitraum nur knapp 15 Milliarden Kilowattstunden erzeugten.

Bürgerinitiativen und Grüne bezeichnen die Ankündigungen von Gaffal und Aigner sowie die Pläne der Energiekonzerne denn auch als »aberwitzig«. »Es ist unverantwortlich, dass Deutschland mit dreckigem Kohle- und Atomstrom den europäischen Strommarkt überflutet«, sagt der energiepolitische Sprecher der Grünen im bayrischen Landtag, Ludwig Hartmann. Statt über eine Laufzeitverlängerung von Grafenrheinfeld nachzudenken, sei die sofortige Stilllegung des AKW »dringend geboten. Sie würde den deutschen Strommarkt entlasten und unseren Stromexportüberschuss nur geringfügig senken.«

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