Kein Rathausputz zum Hungerlohn

Neues Vergabegesetz in Niedersachsen schreibt Mindestlohn vor

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit Mittwoch dürfen das Land Niedersachsen und seine Kommunen öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen vergeben, die 8,50 Euro Mindestlohn garantieren.

Eine Reinigungsfirma, die ihre Beschäftigten für sieben Euro pro Stunde in Kindergärten oder Schulen den Besen schwingen lässt, wird sich in Niedersachsen vergeblich um Aufträge von Städten, Gemeinden oder Landkreisen bemühen. Das neue Vergabegesetz, von der rot-grünen Landtagsmehrheit gegen heftigen Widerstand aus CDU und FDP durchgesetzt, schreibt vor: Beträgt der Wert des Auftrags mindestens 10 000 Euro, so darf er vom Land oder den Kommunen nur solchen Unternehmen erteilt werden, die sich an Tarife halten und mindestens 8,50 Euro pro Arbeitsstunde zahlen.

Des Weiteren sagt das Gesetz: Alle Aufträge sollen umwelt- und sozialverträglich ausgeführt werden, und das gilt auch in punkto Material. Firmen etwa, die beim Ausbau eines Stadttheaters schützenswertes Tropenholz einsetzen oder Stoffe verwenden wollen, die in Kinderarbeit entstanden sind, haben keine Chance. Gestellt werden kann vor einer Auftragsvergabe auch die Frage, ob der Betrieb Behinderte beschäftigt, auf Gleichbehandlung von Frauen und Männern achtet, Ausbildungsplätze anbietet und Langzeitarbeitslose einstellt.

Wie aber soll sich die Reinigungskraft im städtischen Kindergarten wehren, wenn ihr Arbeitgeber den Mindestlohn nicht zahlt, obwohl er das dem Rathauschef zugesichert hat? Die betroffene Person kann sich an die jüngst eingerichtete Servicestelle des Wirtschaftsministeriums in Hannover wenden. Sie nimmt die Beschwerde entgegen, informiert den öffentlichen Auftraggeber, der wiederum muss der Sache nachgehen. Hat das Unternehmen tatsächlich zu wenig gezahlt, drohen ihm Sanktionen, zum Beispiel Strafzahlungen bis zu zehn Prozent des Auftragswertes und ein bis zu drei Jahren dauernder Ausschluss von öffentlichen Aufträgen.

Doch die Servicestelle ist nicht nur »Melde- und Kontrollinstanz«. Ihre Hauptaufgabe sieht Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) darin, den Kommunen beim Anwenden des Vergabegesetzes mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Zum Beispiel im Internet mit einem Frage-Antwortkatalog zu den neuen Bestimmungen. Durch diese Unterstützung soll vor allem kleineren Gemeinden die Furcht genommen werden, das Gesetz könnte die Verwaltung durch mehr Bürokratie belasten. Solche Ängste verstand die schwarz-gelbe Opposition trefflich zu schüren, als sie im Parlament gegen die Vergaberichtlinien wetterte.

Ein »Betonklotz am Hals von Unternehmen und Auftraggebern« bezeichnete die CDU seinerzeit das neue Vergabegesetz, dessen Vorgänger weder einen Mindestlohn noch die Komponenten Umwelt und soziale Gerechtigkeit enthalten hatte. Auch der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund hatte vor einem Mehr an Bürokratie gewarnt. Das sei »entlarvend«, reagierte der Vorsitzende des DGB-Landesverbandes, Hartmut Tölle: Wenn die Kommunen mit hohen Zusatzkosten als Folge des Gesetzes rechnen, dann sei nahe liegend, »dass sie ihre Kosten bei öffentlichen Aufträgen bisher durch Lohndumping klein gehalten haben«. Bis auf das CSU-regierte Bayern haben alle Bundesländer mehr oder weniger weit gehende Vergabegesetze. Die meisten schreiben 8,50 Euro Mindestlohn vor, Schleswig-Holstein sogar 9,18 Euro. Hamburg, Hessen und Sachsen-Anhalt etwa fordern allein »Tariftreue«, ohne einen Betrag festzusetzen.

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